Tschechien ist unser Nachbarland. Aber Sprache, Geschichte, Kultur und Alltag interessieren die meisten Deutschen nicht, erfährt unsere Gastautorin Petra Tesch am Rande des Tennis-Trainings.
Tennis spielen in Tschechien: Eine nostalgische Liebeserklärung an unser Nachbarland
„Steck den Finger durch den Hals“
Ich muss mich kurz hinter Plzen einfach nochmal verfahren, auch wenn meine Mitfahrerinnen nach 14 Stunden Tennis endlich nach Hause wollen. Ich will ein letztes Mal nach dem Weg fragen und die Sprache hören, die mich in meine Jugend vor 30 Jahren zurückholt. „Strč prst skrz krk“, dieser Zungenbrecher wird für den längsten tschechischen Satz ohne Vokal gehalten. Für die meisten Deutschen ist er unaussprechlich! Wir sind es nicht gewöhnt, Konsonanten so zu betonen, dass sie eine eigene Silbe bilden. Konsonanten heißen bei uns Mitlaute, weil sie nur zusammen mit Vokalen klingen können. Einzige Ausnahme sind (laut Wikipedia) dialektale Begriffe wie Dirndl.
Das Tschechische sagt viel aus über die TschechInnen: Es ist konsequent – alles wird auf der ersten Silbe betont; es ist klar – niemals klingen die „Es“ und „Is“ annähernd so biegsam und assimiliert wie im Russischen; es ist selbstbewusst und leistet sich einen Buchstaben, den es so sonst nirgendwo auf der Welt gibt, das „ř“ (in etwa gesprochen wie gleichzeitig ein rollendes „r“ und das „sch“in Gigolo). Dem Staccatohaften der Konsonantenaneinanderreihungen stehen langgezogene Vokale gegenüber, die, wenn sie beispielsweise im „Ruf-Fall“ (Vokativ) vorkommen, den das Deutsche nicht kennt, endlos scheinen: „Petrooooo“ schallt es über den Platz, wenn ich gerufen werde, „Milaneeeee“, wenn Superspieler Milan wieder einen Volley in die Rückhandecke gesetzt hat. Mancher und Manchem klingt vielleicht aus Urlauben an der Ostsee mit den tschechoslowakischen Schwester- und Brudergästen, die aus Ermangelung eines eigenen Meeres mit ihren Wohnwagen an die Ostostsee kamen, auch noch ein „podseeeeem“ im Ohr. Was malten wir uns nicht alles an verrückten Bedeutungen dafür aus! Dabei heißt es nur („Pojď sem!“) „Komm her!“. Wir waren nie gemeint. Ostdeutsche und TschechInnen blieben meist unter sich.
Mächtig sind die Schriftmächtigen
Die pointierten Laute werden kontrastiert von einem melodischen Singsang. Wenn TschechInnen deutsch sprechen, erinnert das an den Charme von Jugendstil-Caféhäusern und den Langmut von Menschen, die selten aus der Haut fahren. Diese Melodie hören wir, wenn wir an einen der weltgrößten Schelme, Jarovlav Hašeks „Braven Soldaten Schwejk“ denken, ein Urbild tschechischer Mentalität und subtilen Humors.
Als 1968 russische Panzer einrückten, um den Prager Frühling niederzuschlagen und den Versuch zu beenden, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen, sollen die Einwohner die Straßenschilder umgehängt und die Besatzer dadurch in die Irre geführt haben. Sie behielten ihre Selbstachtung; der politische Frühling jedoch endete noch im gleichen Jahr, am 21. August.
„Chytrý“ heißt auf deutsch „schlau“ oder „listig“ und es waren – anders als in Deutschland – in unserem Nachbarland oft die Intellektuellen, die von den Menschen nicht nur verehrt, sondern auch zu Staatsoberhäuptern und in die Regierungen gewählt wurden. Václav Havel, der Schriftsteller, der nach der samtenen Revolution 1989 Staatspräsident wurde, dürfte Einigen hierzulande ein Begriff sein. Anders sieht es aus mit Tomáš Garrigue Masaryk, liebevoll abgekürzt „TGM“, einem tschechischen Philosophen, Schriftsteller und Politiker, der 1918 nach langem Exil den Nationalstaat Tschechoslowakei gründete und deren erster Präsident wurde. Nun waren sie die österreichischen k.-u.-k.-Monarchen los, die das Land bis 1918 beherrscht hatten. Erstmalig seit dem 30jährigen Krieg regierte sich das tschechische (und slowakische) Volk nach dem ersten Weltkrieg wirklich selbst, ganz ohne Kaiser und Könige. Während der Zeiten von Unterdrückung haben sie immer auch schreibend rebelliert: „Jesus, nicht Caesar − so lautet die Losung des demokratischen Europas (…)“ ist der letzte Satz einer Schrift Masaryks. (Das neue Europa. Der slavische Standpunkt, Volk und Welt: Berlin 1991, S. 201). Ein Zeugnis der Emanzipation im Prager Frühling bildete das von Intellektuellen verschiedener Couleur unterzeichnete Manifest der 2000 Worte des Schriftstellers Ludvík Vaculík. Die Charta 77 bezeichnet eine im Januar 1977 veröffentlichte Petition gegen die Menschenrechtsverletzungen des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei, sie wurde auch von Ostdeutschen Oppositionellen im zivilen Widerstand aufgegriffen.
Die Deutschen und die TschechInnen
In Plzen beschränkt sich das Kulturprogramm der meisten deutschen Tennisgäste auf den vom Veranstalter organisierten Busausflug ins Brauhaus, und erst dort wird nun auch allen klar, dass „unser deutsches“ Pils aus Plzen stammt. Nach zwei Bier und dem deftigen Gulasch mit Knödeln fallen uns noch ein paar Tschechinnen und Tschechen ein: Bedřich Smetana, der Komponist der „Moldau“, die im Osten jedes Kind kannte. Karel Gott mit seiner Biene Maja, den mancheR Westdeutsche womöglich für einen Süddeutschen Landsmann hielt.
Spejbl und Hurvínek, altkluger Vater und Sohn, zwei Marionetten, die die Ostdeutschen mit ihrer Alltagssatire zum Lachen brachten. Ja und dann sogar Jan Neruda mit seinen Liebesgedichten, der die Prager Kleinseite beschrieb, auf der viele Deutsche schon einmal den steilen Weg zur Burg erklommen haben mögen. Er wohnte in der heute nach im benannten Nerudova-Gasse im Haus „U Dvou slunců“ („Zu den zwei Sonnen“), wo ich meinem damaligen tschechischen Freund 1978 nächtelang beim Biertrinken zusah. Auch Franz Kafka (František Kafka) – wenngleich deutscher Jude – lebte die meiste Zeit seines Lebens in Prag. Das Tschechische ging ihm zu Herzen (Kafka: Briefe an Milena. 12. Aufl. Frankfurt a. M. 2002, S. 17.).
Nach ein paar Bieren und beim Stichwort „SportlerInnen“ wird es dann leichter: Emil Zátopek wurde 1948 über 10000 und 1952 über 5000 und 10000 Meter sowie im Marathon Olympiasieger und brach einige Rekorde. Auch er erinnerte an einen Schelm: Wie er mit heraushängender Zunge und wackelndem Kopf lief, hätte ihn kaum jemand für einen Gewinner halten können. Oder Ivan Lendl mit 8 und Martina Navrátilová mit 18 Grand-Slam-Titeln im Tennis. Beide sind in die USA ausgewandert, Navrátilová ist seit 2008 wieder auch tschechische Staatsbürgerin. Heute sind erneut einige tschechische SpielerInnen weit oben in der Weltrangliste: Tomáš Berdych und Petra Kvitová. Der eigentliche Lieblingssport der Tschechen aber ist Eishockey. Wir fühlen mit, dass unser Trainer Petr wegen der deutschen Tennisgäste nicht dazu kommt, das vorletzte Play-off-Spiel seiner Plzener gegen Zln zu sehen. In der ganzen Stadt gibt es keine Kneipe, die das Spiel nicht überträgt. Plzen verliert, macht aber eine Woche später im Finale mit einem 4:3 die Meisterschaft doch noch perfekt. Ich wäre gern dabei gewesen.
Im Parkhotel, wo wir wohnen, heiraten während unseres Aufenthalts Petra und František, traditionell mit großer Familie und vielen stolzen kleinen Brautjungfern in weißen Kleidchen. Die Väter kümmern sich liebevoll um ihre Kinder. An den anderen Abenden finden eine Unterwäscheschau und ein FriseurInnenwettbewerb statt, natürlich mit Live-Musik. Wahrscheinlich unterscheidet sich, was die TschechInnen mögen, nicht so sehr von dem, was die Deutschen mögen. Vielleicht denken wir deshalb so wenig über die Unterschiede nach. Und vielleicht fühlen sich einige deshalb dort sehr wohl, wenn auch die Sprache für die meisten unaussprechlich bleibt. „Chrt pln skvrn zhltl hrst zrn.“ („Der Windhund voll von Flecken hat eine Handvoll Getreide verzehrt.“), dieser Zungenbrecher hat übrigens 24 Buchstaben.
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