Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Die Bilder bleiben

„Das geht nicht am Arsch vorbei“: Im 26. Jahr haben sich die Künstlerinnen der Endmoräne eine Papierfabrik für ihre flüchtige Intervention vorgenommen. Ihnen auf ihren Wegen zu folgen, lohnt

Zwei Wege führen durch die stillgelegte Papierfabrik Wolfswinkel am Rande von Eberswalde. Wege, bei denen man Acht geben muss, nicht zu stolpern, so uneben sind sie teils, mit Schutt und Scherben übersät. Wege aber auch, die in eine andere Welt entführen. In eine Welt, die einer stillgelegten Industrieanlage neues Leben einhaucht. „Papier ist geduldig“ heißt ein Sprichwort, jetzt hat es Flügel bekommen. Eine der Künstlerinnen, Susanne Ahner, hat ihre Arbeiten nach den bekannten Worten benannt, als sie in der Fabrik noch etliche Bögen Papier vorfand und schließlich mit ihnen arbeitete. Sie hat die Papiere aus ihrem Schlaf geweckt und an einer alten Kabelbrücke die ganze Halle durch aufgehängt, wo sie nun im Wind flattern. Aus altem Schleifpapier, das ebenfalls einmal in der Papierfabrik hergestellt wurde, hat sie ein buntes Netz in einem leeren kleinen Abstellraum gespannt.

Ina Abuschenko-Matwejewa hingegen hat verschiedene Papiere in Gläsern konserviert und in Metallregale gestellt, dort, wo es permanent durch das offene Dach regnet. in den Gläsern muss sich das Papier tatsächlich in Geduld üben, steht doch vor den Regalen ein Hocker, der viel Raum zum Betrachten und Innehalten bietet.

Eingelegte Papiere – „concrétion conservée“ von Ina Abuschenko-Matwejewa

Kariöse Backenzähne sind dagegen harmlos

Das Künstlerinnenkollektiv Endmoräne hat sich nach der alten Nähmaschinenfabrik Veritas in Wittenberge vor drei Jahren und der alten Zuckerfabrik in Frankfurt/Oder 2015 in ihrem 26. Jahr erneut eine stillgelegte Fabrik für ihre jährliche Einmischung in scheinbar verlassenen Räumen ausgesucht. Und es ist bisher mit Abstand der schwierigste Ort, den die Künstlerinnen bespielen. Würde das Backsteinmauerwerk der zwei riesigen Gebäudekomplexe nicht vor Standfestigkeit trotzen, kostete es richtig Überwindung die alten Werkhallen zu betreten. Kariöse Backenzähne sind dagegen harmlos, selbst wenn in ihnen schon mehr als ein Loch klafft.

In der Papierfabrik haben die insgesamt 22 Künstlerinnen Halt in der Fragilität gesucht. Und gefunden. So wie Monika Funke Stern haben einige die übrig gebliebenen Fundamente der Maschinen, die in der Fabrik einst zum Einsatz kamen, als Sockel für ihre Arbeit genutzt. Bei Monika Funke-Stern sind so drei Sarkophage aus verschiedenen Papieren und Fundstücken entstanden, die an Grabkammern in Kirchen erinnern. Aber sie haben auch etwas Futuristisches. Als würde sich nicht Darth Vader, sondern eine Art White Vader aus Star Wars von den Sockeln erheben.

White Vader – „Surge surge, amicames! (Monteverdi, Marienvesper 1610) von Monika Funke Stern

Klopapier ist ihr Material

Zwei Künstlerinnen haben sich Gedanken um unseren Umgang mit Papier gemacht. Masko Iso hat einen Schrein für Bäume gebaut, um daran zu erinnern, wie viel Papier wir immer noch verbrauchen und wie viele Wälder immer noch dafür vernichtet werden. Ihre Arbeit berührt, sieht man den aufgestapelten Bäumen doch an, dass sie tot sind. Drastischer hat Tina Zimmermann den enormen Papierverbrauch auf den Punkt gebracht: Klopapier ist ihr Material. Klosetts quellen über von schneeweißem Papier, Klopapierrollen schlängeln sich durch einen langen Raum. An einer Wand hängt eine Rolle aus Recyclingpapier mit der Aufforderung, dieses für den nächsten Toilettengang zu benutzen. Tina Zimmermanns Beweggrund ist überzeugend. Benutzen doch immer noch 75 Prozent der Toilettengänger weißes Klopapier aus frischer Zellulose, was in der Herstellung nicht nur 3 bis 4mal so viel Wasser verbraucht, sondern auch viele der täglich 68.000 gefällten Bäume. Der Titel ihrer Installation liegt da geradezu auf der Hand: „Das geht mir am Arsch vorbei“.

Die Ausstellung sollte das auf keinen Fall. Denn – auch zum ersten Mal – sind die Frauen von der Endmoräne nicht die ersten, die sich die alten Gemäuer vorgenommen haben. Etliche Sprayer haben den Wänden bereits mit figuralen Graffitis ein neues Gewand gegeben. Und einige der Künstlerinnen haben die Spraybilder in ihre Auseinandersetzung mit der Fabrik einfließen lassen. Ingrid Kerma in einem Relief, Barbara Müller in ihrer mehrteiligen Installation „…und wenn du weg bist, mache ich jeden Tag ein Bild von dir“. Ein buntes Graffiti lässt vor allem den Hauptteil der Installation erstrahlen. Weiße Schatten – so auch der Titel der Ausstellung – werfen nur noch ihre davorgehängten großen, weißen Flächen.

Barbara Müller, „…und wenn du weg bist, mache ich jeden Tag ein Bild von dir“

Manchmal ist es wirklich bedauerlich, dass die Endmoräne immer weiter zieht, von Ort zu Ort mäandert und sich verändert. Müllers Arbeit liest sich da wie das Programm des Kollektivs: Wenn die Künstlerinnen wieder weg sind, bleiben nur ihre Bilder. Aber die muss sich jede/r selbst machen.

 

Die Ausstellung ist noch am 15./16.Juli jeweils von 13-18 Uhr zu sehen. Eberswalder Str. 27-31, 16227 Eberswalde

Weitere Infos unter www.endmoraene.de

Kariöse Backenzähne sind harmlos dagegen – Außendetailansicht der alten Papierfabrik Wolfswinkel in Eberswalde

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