Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

These boots aren´t made for walking

Bei immer mehr Dingen setzt der Selbstzerfall schon vor der
Müllhalde ein. Und was tue ich? Ich reklamiere.

„Wenn Sie einen Kassenbon haben, können wir das beim Hersteller reklamieren.“ Die junge Frau mit den Dreadlocks wirkt ehrlich betroffen. Gerade habe ich den roten Dr. Martens-Stiefel an meinem linken Fuß in Höhe ihres Tresens gewuchtet und ihr den Riss gezeigt, der sich an der Innenseite der linken Ferse bildet.

Ich bin sauer: Schon im letzten Jahr hatten ein Paar Winterstiefel für 150 Euro grade mal einen Winter gehalten, und das obwohl ich meine Schuhe pflege. Ich habe kein Auto, deshalb brauche ich stabile Schuhe. Und da mich Kaufen und Wegschmeißen gleichermaßen stressen, möchte ich, dass die Dinger halten. Auch wenn ich nicht das Geld für handgenähte Manufactum-Schuhe habe.

Deshalb habe ich mich diesmal vorher umgehört. „Dr. Martens“, empfahl meine Freundin, „die halten ewig.“ Ich erinnerte mich an die PunkerInnen in den Fußgängerzonen, die seit 30 Jahren Dr. Martens tragen. Die kaufen sich bestimmt nicht jedes Jahr neue Stiefel, dachte ich mir. Und auch die Verkäuferin bestätigte auf meine Nachfrage: „Ein bisschen Pflege, dann haben Sie jahrelang Freude dran.“ Ich griff also zu.

Ich renne nach Hause, krame in einem Schuhkarton und finde ihn: den Kaufbeleg vom 26. Januar 2012 für ein Paar rote Dr.-Martens-Stiefel, regulärer Preis: 189,- Euro, von mir im Ausverkauf für 150,- Euro erstanden. Weil der Winter damals schon fast zu Ende war, habe ich sie kaum mehr getragen, erst Mitte September 2012 holte ich sie wieder aus dem Schrank. Schon im Dezember hatte das Rot beträchtlich an Strahlkraft verloren, obwohl ich sie eingefettet hatte und keineswegs täglich trug. Rote Schuhcreme, lernte ich bei dieser Gelegenheit, ist kein Standardprodukt wie schwarze oder braune, die man für 1,99 Euro in jedem Supermarkt kriegt. 11,60 Euro zahlte ich im Fachgeschäft für eine eher überschaubar große Tube. Und cremte die Schuhe sorgfältig damit ein. Danach sahen sie dann fast wieder wie neu aus.

Anfang März entdeckte ich beim Einfetten den Riss. Fast drei Zentmeter lang, noch nicht durch, aber an einer Stelle, wo das Leder bei jedem Schritt den Sohlenrand berührt und ein bisschen eingedrückt wird. Es war also nur eine Frage der Zeit, wann das Leder dort komplett einreißen würde. Ich betrachtete den anderen Schuh: Dort bestand das Problem nicht, das Leder an der Ferseninnenseite war viel härter und ließ sich nicht eindrücken. Klarer Fall: Materialfehler, dachte ich.

Kleiner Exkurs: Wenn der Murks System hat

Die junge Frau mit den Dreadlocks bei „Jugendmode“ sieht das genauso. Vielleicht tut sie auch nur so, weil sie ohnehin nicht glaubt, dass irgendjemand einen winzigen Kassenbon 13 Monate lang aufbewahrt. Hätte ich auch nicht getan, wenn ich nicht im letzten Jahr Cosima Dannoritzers Film „Kaufen für die Müllhalde“ gesehen und einen Beitrag dazu geschrieben hätte. Schon vorher hatte ich mich über Dinge geärgert, die schneller aus dem Leim gingen, als ich es von ihren Vorgängern in Erinnerung hatte. Nun lernte ich, dass rascher Verschleiß nicht einfach die Folge von Billigproduktion, sondern eine kalkulierte Herstellerstrategie ist: Indem Produkte so konzipiert werden, dass sie sich schlecht reinigen lassen, nicht mehr kompatibel sind oder schnell kaputt gehen, sollen wir gezwungen werden, immer wieder neue zu kaufen: „Geplante Obsoleszenz“ heißt der Fachbegriff dafür.

Logo der Kampagne "Murks? Nein Danke"

Logo der Kampagne „Murks? Nein Danke“

Nicht mit mir, dachte ich damals, surfte im Internet und entdeckte das Portal „Murks, nein danke“. Der Betriebswirt Stefan Schridde hat es 2012 ins Leben gerufen. Seitdem können dort wütende VerbraucherInnen die Marken ihrer Notebooks, Handys, Kaffeemaschinen, Geschirrspüler, Waschmaschinen, Fernseher, Receiver, Spielkonsolen, Heizlüfter, Kameras, Drucker und sonstiger Elektrogeräte nennen – Apparate, die eines gemeinsam haben: Kaum war die Garantie abgelaufen, verwandelten sie sich in irreparablen Elektroschrott. Zufall? Sicher nicht.

Weil ich nicht glaubte, dass diese Kaputt-geh-Strategie nur Elektrogeräte betrifft, setzte ich unter meinen Beitrag eine E-Mail-Adresse mit der Bitte, mir weitere Hinweise auf Produkte zuzuschicken, „gerne auch aus dem nicht-elektronischen Bereich“. Was in den nächsten Wochen meinen Briefkasten füllte, war eine klatschende Ohrfeige für den Konsumstandort Deutschland. Immer neue Mails von Leuten trafen ein, manche legten Fotos bei, andere komplette Briefwechsel mit den Herstellern. Albert Reinhardt verwies auf den Gillette-Handnassrasierer, dessen Ersatzklingen so teuer sind, dass es günstiger ist, sich gleich einen neuen Rasierer zu kaufen und den alten in den Müll zu schmeißen. Hagen Heine schickte mir Fotos von seinen Mörtelkübeln: Den einen hatte er 2001 gekauft, der tat noch immer tadellos seinen Dienst; ein Neukauf aus dem Jahre 2009 hatte dagegen bereits nach kurzer Zeit einen Bruch am Tragegriff erlitten und war zum Transport nicht mehr einsetzbar. Heine hatte sich das Material genauer angeschaut und herausgefunden, dass der neue Kübel aus weniger stabilem Recycling-Kunststoff gefertigt war – für dieselbe Qualität wäre also eine dickere Wandstärke erforderlich gewesen. „Das ist bei dem Mörtelkübel aus 2009 offenbar vollkommen missachtet worden“, schrieb er mir. „Denn trotz der Verwendung von Recycling-Kunststoff sind hier die Materialstärken gegenüber dem Modell aus 2001 noch weiter reduziert worden.“ Und er fragte: „Wie lange sollen solche Kübel unter Baustellenbedingungen halten? Zwei Tage? Oder nur einen Tag?“

Kunststoffe, die sich auflösen, waren überhaupt ein häufiges Problem. Es betraf die Griffe von Handtaschen genauso wie die eingenähten Gummis von Unterhosen. Bei Martina Schüler war es ein teurer Rowenta-Wasserkocher: „Nach etwa einem Jahr begann der Kocher am oberen Rand weiß abzufärben, als ob der Kunststoff aus weißer Kreide bestehen würde“, schrieb sie. „Ich habe mich an die Firma gewandt und einigen Schriftwechsel gehabt sowie Telefonate geführt. Immer wieder wurde behauptet, es sei Kalk aus dem Wasser. Erst nachdem ich mit penetranter Nachhaltigkeit und immer erneuter Beschreibung der tatsächlichen Effekte nicht abzuwimmeln war, wurde eingeräumt, dass der Kunststoff so beschaffen sei, dass er auf der Müllhalte einige Jahre später zerfallen würde, und ich hätte Pech, dass dieser Selbstzerfall schon etwas früher eingesetzt hätte.“

Selbstzerfall, so erfuhr ich, stellt offenbar auch eine Produkteigenschaft vieler Schuhe dar. Jelto Arends warnte mich eindringlich vor den Modellen der Firma Clarks, deren Sohlen sich offensichtlich regelmäßig nach fünf Jahren auflösen. Seinem Schuster sei das Phänomen schon vertraut, dessen Befund: Reparatur unmöglich. Reiner Erfurth bekam es von einem Wanderschuhhersteller sogar schriftlich: „Dass Schuhe bzw. die PU-Dämpfungskeile einer gewöhnlichen Alterung unterliegen, ist leider ganz normal und völlig markenunabhängig“, schrieb ihm die Mitarbeiterin der Lowa-Serviceabteilung in einem Brief, den er seiner Mail an mich beigefügt hatte. „Dies ist übrigens auch der Grund“, fügte sie hinzu, „warum Sie Laufschuhe nach einem Jahr austauschen sollten, obwohl diese auch teils an die 150 Euro kosten. Laufschuhe sind alle aus EVA, und ein Drittel der Dämpfung geht bereits auf dem Weg im Container von Asien nach Deutschland verloren.“ Ob JoggerInnen das beim Kauf der Schuhe mitgeteilt bekommen? Reiner Erfurth aber ging es nicht um Lauf-, sondern um Wanderschuhe, und er wies die Hersteller eindringlich auf die Gefahr hin. Mir schrieb er: „Leider habe ich mit Schuhen verschiedener Hersteller die Erfahrung gemacht, dass insbesondere bei Schuhen, die wenig getragen wurden, aber äußerlich noch voll funktionsfähig aussehen, große Vorsicht geboten ist. Nach Auskunft der Hersteller ist es `normal´, dass sich bei den Schuhen nach einer Zeit von 6 bis 7 Jahren die Sohlen lösen. Was das bei einer Bergwanderung bedeutet, kann man sich ausmalen.“

Was tun?

Ich lernte aus allen diesen Zuschriften dreierlei. Erstens: Geplante Obsoleszenz, so schwierig sie auch im Einzelnen nachzuweisen sein mag, ist ein Phänomen, das längst alle Bereiche unseres Alltags durchdringt; „Haltbarkeit“ ist allenfalls noch in Nischensegmenten eine Produkteigenschaft und dort nur für eine Minderheit der VerbraucherInnen bezahlbar. Zweitens: Der Druck muss von unten kommen – durch Portale wie „Murks, nein danke!“ und durch KundInnen, die reklamieren. Massenhaft, nervig, laut, bis die miese Qualität den Unternehmen zu teuer wird. Und dafür braucht man – drittens – einen Bon. Auch wenn das widersinnig erscheint, denn reklamiert wird ja ohnehin beim Hersteller; wann das Produkt gefertigt wurde, geht in der Regel aus der Produktnummer hervor. Aber wenn es in Deutschland eine eiserne Regel in diesem Zusammenhang gibt, dann lautet sie: Keine Reklamation ohne Kaufbeleg. Deswegen hebe ich nun jeden gottverdammten Bon auf, der keine Verbrauchsgüter wie Lebensmittel oder Shampoo betrifft.

Zurück zu meinen Schuhen

Ich betrete den Laden Jugendmode in der Berliner Schönhauser Allee also zum zweiten Mal an diesem Tag, diesmal mit Halbschuhen an den Füßen, meinen Stiefeln in einer Plastiktüte und mit meinem Bon. Die junge Frau mit den Dreadlocks ist verschwunden; der Chef, Mitte, Ende Vierzig, der jetzt hinter der Kasse steht, zieht andere Seiten auf. Seine Argumentation hätte Siegmund Freud entzückt, der vor 100 Jahren beschrieb, dass es zum Charakter der Verdrängung gehört, dass sie sich – so wenig wie der Traum – um die Regeln der Logik schert. Die Argumentation des Jugendmode-Menschen lautet, grob gesagt: Mein Stiefel ist erstens nicht kaputt (weil das Leder ja noch nicht komplett gerissen ist), zweitens bin ich für den eingetretenen Schaden selbst verantwortlich (auch wenn er nicht genau erklären kann, wie ich einen so geraden Riss im Leder herbeigeführt haben soll – „Gestolpert oder hängengeblieben“, lautet eine These, an die er selbst nicht recht glauben kann), und drittens hält eben nix ewig.

Das Schöne daran, 46 zu sein, ist, dass mir bestimmte Dinge nicht mehr besonders peinlich sind. Und ich kann auch laut werden, wenn es sein muss. In einem vollbesetzten Laden zu rufen „Aha, die Schuhe, die hier verkauft werden, halten eben nicht mal eine Saison – auch wenn sie 190,- Euro kosten. Dann kann ich meine Schuhe aber auch woanders kaufen. Da halten sie auch nur einen Winter, aber kosten nur 50 Euro“, gehört inzwischen zu meinen leichteren Übungen. Es kostet am Anfang ein bisschen Überwindung, aber dann muss man sich sagen: Ich habe hier nichts zu verlieren, ihr dagegen wollt schließlich Geschäfte machen. Weshalb man im Zweifelsfall auch nie am frühen Morgen, sondern immer zur besten Geschäftszeit reklamieren sollte.

An diesem Punkt trat bei Jugendmode die Inhaberin hinzu – zufällig die Frau, die mir damals versichert hatte, mit ein bisschen Pflege hätte ich jahrelang Freude an diesen Schuhen. Sie setzt erkennbar auf Deeskalation und erklärt mir, sie verstehe meinen Ärger. Meine Schuhe werden eingepackt, meine Daten notiert, auf dem Bon lasse ich mir quittieren, dass die Schuhe eingeschickt werden. Es ist der 8. März.

Nun geschieht lange Zeit gar nichts. Außer dass der Winter zurückkommt und ich keine Stiefel habe. Nach knapp zwei Wochen rufe ich zum ersten Mal bei Jugendmode an. Man habe die Schuhe verabredungsgemäß eingeschickt, aber noch nichts von Dr. Martens gehört, sagt der Mann am Telefon. Ich bitte um Rückruf. Bei meinem nächsten Anruf eine Woche später gilt seine Gereiztheit nicht mehr mir, sondern Dr. Martens. Er rufe dort ständig an, man verspreche ihm einen Rückruf, aber nichts geschehe, er persönlich verstehe unter Kundenservice etwas anderes. In der zweiten Aprilwoche dann der Anruf auf meinem AB: Die Stiefel seien zurück, ich möge mich telefonisch melden. Und die schlechte Nachricht, als ich zurückrufe: Dr. Martens erkenne meine Reklamation nicht an, daher kein Umtausch, kein Geld zurück. Alles umsonst.

Alles umsonst?

An diesem Punkt wäre diese Geschichte wohl zu Ende, wenn ich meinem ursprünglichen Berufswunsch gefolgt und Theaterdramaturgin geworden wäre. Denn was soll man machen, wenn Händler wie Hersteller eine Reklamation ablehnen: Sich bei der Verbraucherzentrale beschweren? Sinnlos. Eine Bürgerinitiative gründen? Aufwendig. Den Laden in Schutt und Asche legen? Kriminell.

Vielleicht wäre diese Geschichte hier auch zu Ende, wenn mir die Frau mit den Dreadlocks, die wieder hinter dem Tresen stand, als ich nun zum dritten Mal in fünf Wochen den Laden betrat, einfach nur meine Stiefel über den Tresen gereicht hätte, ohne den Originalkarton von Dr. Martens. Ich hätte meinen Ärger runtergeschluckt, wie so oft, und mit einer anderen Marke einen neuen Versuch gestartet.

Doch ich bekomme den Karton und finde darin zweierlei. Zum einen folgenden, auf die Innenseite des Deckels gedruckten Text: „Ever since 1 April 1960 when Dr. Martens boots first rolled off the production line and onto the feet of postmen, policemen and everyday workers, our reputation for durability has become footwear folklore. Over 100 million pairs later our belief in making things to last is as strong as it´s ever been.“ („Seit am 1. April 1960 die ersten Dr. Martens-Stiefel von unserem Band auf die Füße von Postboten, Polizisten und ganz normalen Arbeiter rollten, ist unser Ruf für Langlebigkeit legendär. Über 100 Millionen Paar später ist unsere Überzeugung, Dinge von Dauer zu herzustellen, so stark wie immer.“) Und dazu einen Brief von Pierre Riegermann, der mir lapidar erklärte, dass der Riss an meinem Schuh des Artikels 14765201/Elena/Kaufdatum Dez. 2011 (Größe 39) „kein Materialfehler ist, sondern normaler Verschleiß ist bzw. hier von Eigenverschulden auszugehen ist“. Ich möge Verständnis dafür haben, dass sie meine Reklamation nicht anerkennen könnten. Für Rückfragen ständen sie gerne zur Verfügung – wobei in weiser Voraussicht weder eine Post- noch eine E-Mail-Adresse angegeben sind, damit bloß niemand auf die Idee kommt, das auch tatsächlich zu tun.

Die nächste Runde

An diesem Punkt packt mich die kalte Wut. Fünf Wochen Zeit für eine Reklamation und dann so eine Schlampigkeit? Ich hatte die Schuhe nicht im Dezember 2011, sondern Ende Januar 2012 gekauft. Worin mein Eigenverschulden bestehen soll, ist immer noch unklar – vielleicht darin, dass ich sie getragen habe? Und dazu noch dieses großspurige Bekenntnis zur Haltbarkeit auf jedem Karton? Ich schreibe also eine Mail an Piere Riegermann, dessen E-Mail-Adresse im Internet nun, da ich erst mal seinen und den Namen seiner Firma habe, mit drei Klicks zu finden ist:

Sehr geehrter Pierre Riegermann,

ich bekam heute von Ihnen die Mitteilung, dass meine Schuhe – rote Dr. Martens-Stiefel, die ich Ende Januar 2012 gekauft und nur wenige Monate getragen habe – einen Riss aufgrund von „normalem Verschleiß“ haben und Dr. Martens sie nicht ersetzen wird. Die Stiefel hatten regulär 189,- Euro gekostet, waren eher selten getragen worden und sicher keiner besonderen Beanspruchung unterzogen worden.
Für diese Feststellung haben Sie über vier Wochen und zahlreiche Nachfragen des Händlers gebraucht.
Ich gehe daher nun davon aus, dass Dr. Martens-Stiefel einfach nicht (mehr) besonders haltbar sind und nicht mal mehr eine Saison durchstehen. Fairerweise möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich Journalistin bin und diesen Fall öffentlich machen werde. Sollten Sie doch an einer Einigung interessiert sein, lassen Sie es mich gerne wissen.

Herzliche Grüße, Karin Nungeßer

Ich lese meinen Text noch einmal durch. Ich habe so etwas noch nie gemacht. Ich bin keine investigative Journalistin, gemeinhin trenne ich eisern zwischen Job und privat, genau genommen fühle ich mich schon unwohl, wenn ich beim Verlag ein kostenloses Rezensionsexemplar bestelle, ohne vorher die Zusage einer Zeitschrift für einen Artikel zu haben.

Aber diesmal will ich es wissen. Ich bin stocksauer und will mein Recht. Es ist Freitag, der 12. April, 17.50 Uhr, und ich drücke auf „Senden“.

Die Antwort kommt zwei Werktage später.

Hallo Frau Nungesser,

nochmals vielen Dank für Ihre Geduld.
Da wir uns zum Zeitpunkt Ihrer Reklamation in der Hauptauslieferungsperiode befunden haben, ist Ihre Reklamation leider nicht zeitnah bearbeitet worden.
Natürlich sind wir bei der Begutachtung der eingereichten Reklamationen auch immer auf die Rückmeldungen der Geschäfte angewiesen.
Da wir bei Kundenreklamationen generell kulant sind, stellt die Ablehnung Ihres Paares eigentlich schon fast eine Ausnahme dar.
Aufgrund Ihrer Schilderung über das Zustandekommen des Risses lassen uns aber zu der Feststellung kommen, dass wir da eventuell eine falsche Entscheidung getroffen haben.
Wir werden uns noch heute mit dem Geschäft Jugendmode in Berlin in Verbindung setzen und nach Rücksprache mit dem Geschäftsinhaber eine entsprechende Gutschrift erstellen.
Wir hoffen Ihnen damit weitergeholfen zu haben und hoffen, dass Ihr Vertrauen in die Marke Dr. Martens wieder hergestellt ist.

Vielen Dank für Ihre Geduld.

Mit freundlichen Grüßen aus Waltrop, Pierre Riegermann, Bondi Marketing GmbH

Ich bin baff. So läuft das?

Nun, lieber Herr Riegermann, nein, mein Vertrauen in die Marke Dr. Martens ist nicht wiederhergestellt, im Gegenteil. Und daran ist nicht in erster Linie Ihr schlampiges Deutsch schuld. Wer den Hinweis auf eine drohende Veröffentlichung braucht, um eine Reklamation plötzlich für berechtigt zu halten, hat ziemlich sicher Dreck am Stecken. Wer ständig kulant ist, aber an der Qualität nichts ändert, setzt einfach darauf, dass sich nur die wenigsten beschweren.

Wozu gibt es das Internet?

Ich gebe also „Qualität“ und „Dr. Martens“ in die Suchmaschine ein – und bin plötzlich nicht mehr allein mit meinem Problem. Bei Wikipedia erfahre ich, dass Dr. Martens-Schuhe seit einiger Zeit nicht mehr in Großbritannien, sondern – wie die meisten anderen Schuhe – in Südostasien und China gefertigt werden. „Die Frage der Qualität wird unterschiedlich beurteilt: Einerseits wird auf die angeblich höherwertige Verarbeitung in England verwiesen, bei der es allerdings einen hohen Anteil an Montagsstücken gab, bei denen Nähte oder Klebestellen zerfielen“, heißt es bei Wikipedia. „Andererseits ist die Verarbeitung heutzutage viel gleichmäßiger, als dies früher der Fall war.“ Gleichmäßiger?? Was soll das heißen? Gleichmäßig gut oder gleichmäßig schlecht? Liest man sich die Texte durch, die langjährige Nutzerinnen zum Thema „Qualität“ und „Dr. Martens“ gepostet haben, ist die Bilanz eindeutig. „Bei meinen `neuen´ Docs stelle ich fest, dass sich bereits nach einem 3/4 Jahr die Sohlen lösen und die Metall-Ösen, durch die man die Schnürsenkel zieht, lösen.“ (Beatbuster). „Mitte Januar kaufte ich mir meine neuen 10-Loch, die schon nach ganz kurzer Zeit so abgenutzt aussehen, dass man glauben könnte, ich wäre mit einem Schuh-Fetischisten zusammen, der meine Schuhe wund leckt.“ (Spammer: The Cat). „Meine 10-Loch sind jetzt ungefähr 1 Jahr alt. Die Sohlen sind noch dran, aber hab schon ein paar Macken reingelatscht, bei denen mir nicht bewusst ist, wann ich das gemacht habe (…). Dann ist an beiden Schuhen das Leder an der Naht etwas eingerissen, wo der Teil mit den Ösen am Rest des Schuhs angenäht ist.“ (salchobob). „Die Qualität der Sohle hat extrem nachgelassen. Nach zwei Jahren ist ein Loch in der Sohle. Und das nach sehr viel geringerem Gebrauch.“ (D.R. Tschernack). „Die Qualität hat massiv nachgelassen. Sohlen relativ schnell durch, und auch das Oberleder neigt dazu, an den beanspruchten Stellen brüchig zu werden. Deshalb halten auch die Nieten nicht mehr usw. ganz zu schweigen vom Innensohlenaufbau, der auch relativ schnell Erosionserscheinungen aufweist.“ (HermannReduit)

Lieber Herr Riegermann, ich verstehe das so: Dr. Martens hat die Produktion von Europa nach Asien verlegt, eine Region, die für üble Arbeitsbedingungen und Hungerlöhne bekannt ist. In Großbritannien haben dadurch über tausend Angestellte ihre Arbeit verloren. Die Gewinnmarge der Eigentümer dürfte sich hingegen ordentlich erhöht haben, denn die Schuhe sind ja für die KundInnen nicht günstiger geworden, sondern nur schlechter. Und da sie kürzer halten, werden auch noch mehr davon verkauft. So lässt sich – mit einer kleinen Gutschrift hier und einer Reklamation da – noch eine ganze Weile ordentlich Kohle scheffeln, denn bis sich so ein guter Ruf verliert, das dauert ja, nicht wahr?

P.S. Ihre Gutschrift werde ich selbstverständlich nicht einlösen – aber interessant zu wissen, wie Sie so was normalerweise handhaben.

Die Autorin freut sich für weitere Beiträge zum Thema Geplante Obsoleszenz über Zuschriften, von VerbraucherInnen, aber auch von Leuten aus der Produktion und dem Reparaturgewerbe, an: geplanteobsoleszenz@googlemail.com. Bei Bedarf gerne auch anonym.

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