Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Und dann schlug er einfach zu

Häusliche Gewalt ist ein gesellschaftliches und kein privates Problem

Und dann schlug er einfach zu

Häusliche Gewalt ist ein gesellschaftliches und kein privates Problem

Gewalt gegen Frauen findet überall statt

Gewalt gegen Frauen findet überall statt, Foto: weibblick

Die Frau steht unter der Dusche, als ihr Mann ins Bad kommt. Er hält einen Topf mit heißem Öl in den Händen und kippt ihn plötzlich über seiner Frau aus. Kurz vorher wollte er noch Sex haben mit ihr. Aber das hat nicht geklappt, der Mann hat eine Erektionsstörung. Im April 2016, ein Jahr nach der Tat, steht der Mann wegen gefährlicher Körperverletzung in Hamburg vor Gericht.

In einer Aprilnacht 2016 wirft in Ludwigshafen der betrunkene und mit Drogen vollgepumpte Ehemann einer 26-Jährigen während eines Streits mit seiner Frau Möbel und Geschirr vom Balkon. Technobeats wummern stundenlang durch die Wohnung des Paares, Nachbarn rufen die Polizei. Als die Beamten kommen, beschießt der Mann sie mit einer Signalpistole. Ein paar Polizisten seilen sich über das Dach auf den Balkon des Paares ab, andere brechen die Wohnungstür auf. Die Polizei schätzt den Schaden auf 25.000 Euro.

Als „Fall Rebecca“ geht der Mord an einer 24-Jährigen in Aschaffenburg in die Polizeigeschichte ein. Rebecca will gegen den Willen ihres Geliebten dessen Kind bekommen, im Mai 2015 wird sie mit Kabelbindern erdrosselt. Ihr Mörder ist jener Mann, mit dem sie seit einiger Zeit ein Verhältnis hat, der Vater ihres Kindes. Der 32-Jährige ist verheiratet und hat gar nicht die Absicht, sich von seiner Ehefrau zu trennen. Also muss die Geliebte „weggeschafft“ werden.

Im November 2016 schleift ein Mann seine Frau an seinem Auto hinter sich her. Die Frau hängt mit einem Strick um den Hals an der Anhängerkupplung, der Mann fährt mit 80 Kilometer pro Stunde durch die Straßen von Hameln in Niedersachsen. Vorher hat er mehrmach mit einem Messer auf sie eingestochen. Im Auto sitzt der zweijährige Sohn der beiden und hört die Schreie seiner Mutter.

Das sind zufällig ausgewählte Fälle häuslicher Gewalt, die aufgrund ihrer besonderen Brutalität öffentliche Aufmerksamkeit erregt haben. Die meisten Übergriffe, die Männer an Frauen verüben, bleiben indes unbekannt. Sie können nebenan in der Nachbarwohnung passieren, bei Gartenfreunden, im Kollegenkreis. Jeden Tag werden unzählige Frauen geschlagen, geboxt, angebrüllt, eingesperrt, psychisch unter Druck gesetzt, bedroht, verfolgt, umgebracht. Meist von ihren Ehemännern, Lebensgefährten, Ex-Partnern.

Im Durchschnitt erfährt jede vierte Frau in Deutschland Gewalt

127.457 Menschen, die 2015 in Deutschland Opfer von Mord, Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, Stalking und Bedrohung geworden sind, wurden von ihren aktuellen oder früheren Partnerinnen und Partnern angegriffen, hat das Bundeskriminalamt herausgefunden. 82 Prozent der Opfer waren Frauen, 80 Prozent der Täter Männer. Die Dunkelziffer schätzt Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, um ein vielfaches höher.

Jede vierte Frau in Deutschland im Alter zwischen 16 und 85 Jahren erfährt laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums auf verschiedene Weise Gewalt durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner: Wegschubsen, Ohrfeigen, Faustschläge, Bedrohen mit Messer oder Pistole. Nahezu jede siebte Frau gab in der Befragung an, sexuelle Gewalt erlebt zu haben, von Petting bis hin zu schwerer Vergewaltigung.

Die Gewaltübergriffe haben Folgen: Prellungen, blaue Flecken, Knochenbrüche, Verstauchungen, Kopf- und Gesichtsverletzungen, offene Wunden, Scheidenverletzungen, langjährige Traumatisierungen. Wobei die psychischen Folgebeschwerden in der Regel weniger sichtbar sind, häufig aber umso gravierender. „Die Befunde zeigen, dass alle erfassten Formen von Gewalt und Belästigung in hohem Maße zu psychischen Folgebeschwerden führen können, die von Schlafstörungen, erhöhten Ängsten und vermindertem Selbstwertgefühl über Niedergeschlagenheit und Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken, Selbstverletzung und Essstörungen reichen“, heißt es dazu in der Studie.

Auch wenn jeder Fall individuell ist, gibt es Muster

Jeder Fall von häuslicher Gewalt ist individuell. Aber es gibt Muster, die sich wiederholen. Zunächst ist die Nähe zwischen den beiden Liebenden groß. Irgendwann aber verändert sich etwas, er wird lauter in der Stimme, will Recht haben und Recht behalten. Sie gibt nach, sie will nicht, dass Streits eskalieren. Manchmal sagt sie gar nichts mehr. Sie tut alles dafür, damit er nicht ausrastet. Aber das nutzt nichts, er findet immer einen Grund, sie anzubrüllen, sie zu demütigen. Und irgendwann gibt er ihr eine Ohrfeige, aus Versehen, wie er später versichern wird: Das sei im Affekt passiert. Sie ist verstört, aber sie liebt ihn, noch immer. Also verzeiht sie – und sucht die Schuld bei sich: Manchmal bin ich aber auch eine blöde Kuh. Warum muss ich immer genau das machen, was er überhaupt nicht mag? Das nächste Mal denke ich dran.

Beim nächsten Mal denkt sie dran – aber er flippt trotzdem aus. Seine Schläge werden heftiger, der Psychoterror wird stärker. Sie leidet, wird krank, schiebt das aber auf den Stress im Alltag: Kinder, Job, kranke Eltern.

Sie wird kränker und schwächer, das fordert ihn erst Recht heraus. Sie denkt über Trennung nach, doch sie traut sich diesen Schritt nicht zu. Wie soll sie leben? Wovon die Miete bezahlen? Und da sind ja auch noch die Kinder … Also bleibt sie, leidet und begibt sich in die innere Immigration.

Schutz im Frauenhaus

Nicht wenige Gewaltopfer suchen Schutz in einem Frauenhaus. 2014 lebten 7.331 und 7.194 Kinder in bundesweit 186 Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen, wie eine Auswertung des Vereins Frauenhauskoordinierung in Berlin ergab. Insgesamt gibt es rund 400 Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen in Deutschland. Doch die Plätze reichen nicht. Auf eine Frau, die einen Platz findet, kommen zwei Frauen, die abgewiesen werden, hat die Gewaltforscherin Barbara Kavemann erfahren.

Es gibt kein ‚Fehl‘-Verhalten, mit dem sich Gewalt rechtfertigen lässt

Häusliche Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem: Es geht um Macht und Machterhalt. Und doch halten sich hartnäckig Mythen, das Partnerschaftsgewalt zum privaten Dilemma verklären. Die Mythen reichen von „das passiert nur im Suff“ und „unter sozial Schwachen und in bildungsfernen Kreisen“ bis hin zu „sie ist doch selbst schuld, warum provoziert ihn auch so“ und „wie soll er sich denn sonst wehren, sie ist ihm verbal und intellektuell doch überlegen“.

Andrea Buskotte, Gewaltexpertin und Referentin der Landesstelle Jugendschutz in Niedersachsen,  widerspricht all diesen Thesen. Sie sagt: „Natürlich ist Gewalt auffälliger, wenn sie in einer Etagenwohnung verübt wird und die Nachbarn einiges mitbekommen, als wenn Opfer und Täter in einem Haus mit Garten wohnen und die Nachbarn Streit und Schreie nicht hören.“ Alkohol sei nicht nur die Ursache für die Übergriffe, sondern senke lediglich die Hemmschwelle und vermindere die Selbstkontrolle: „Aus diesem Grunde trinken manche Männer, bevor sie zuschlagen.“

Buskotte widerspricht ebenso dem Mythos, dass manche Frauen den Mann provozierten und der sich „wehren“ müsse. „Es gibt kein ‚Fehl‘-Verhalten, mit dem sich Gewalt rechtfertigen ließe“, sagt sie. Sie weist zudem das „Argument“ zurück, die Frau hätte doch gewusst, wen sie sich da ausgesucht habe. Und dass sie ihn verlassen könne, wenn sie das wirklich wolle. Solche Unterstellungen nennt Buskotte „zynisch und irreführend“. Sie suggerierten, dass Frauen die ihnen widerfahrene Gewalt billigend in Kauf nehmen.

Seit 2002 gilt das Gewaltschutzgesetz. Seitdem ist Partnerschaftsgewalt kein Kavaliersdelikt mehr, kein Streit unter Eheleuten, der vorübergeht. Jetzt wird häusliche Gewalt verfolgt und strafrechtlich geahndet. Ein wesentlicher Bestandteil des Gesetzes ist die sogenannte Wegweisung: Der Täter muss die Wohnung für einige Zeit verlassen, das Opfer kann bleiben und muss sich nicht um eine Zuflucht kümmern. Die Polizei hat das Recht, den prügelnden Mann sofort aus der Wohnung zu weisen, dafür braucht sie keinen richterlichen Beschluss.

Gewalt gegen Männer

Es gibt auch Gewalt gegen Männer. Doch das ist selten Partnerschaftsgewalt, sondern eher Gewalt, die andere (häufig unbekannte) Männer verüben, in der Regel im öffentlichen Raum: in Kneipen, auf der Straße, am Arbeitsplatz. Nur in zehn Prozent der Fälle erlebten Männer Übergriffe in Familien: von Ehefrauen, Lebensgefährtinnen, Freundinnen ebenso wie von wie homosexuellen Lebensgefährten, verpartnerten Ehemännern und anderen nahen Familienmitgliedern.

Die Gewaltexpertin Andrea Buskotte sagt: „Gewalt gegen Frauen ist Männergewalt. Gewalt gegen Männer auch.“

 

 

Simone Schmollack - Und er wird es wieder tun. Gewalt in der Par

Simone Schmollack
„Und er wird es wieder tun“ – Gewalt in der Partnerschaft, Westend Verlag, 2017

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