Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Good bye, Prenzlauer Berg

Latte-macchiato-Mütter, Biedermeier-Bohème – über den Prenzlauer Berg und seine BewohnerInnen ist schon viel geschrieben worden. Ich bin vor zehn Jahren eher zufällig hingezogen. Nun ziehe ich fast genauso zufällig weg. Zeit für eine kleine Bilanz.

Manchmal gibt es diesen einen magischen Moment, an dem man plötzlich weiß, dass eine Entscheidung, die man getroffen hat, richtig ist. Bei mir war es der Entschluss, aus dem Prenzlauer Berg nach Moabit zu ziehen.

Hergekommen sind wir vor zehn Jahren, eigentlich eher zufällig. Mein Sohn musste die Schule wechseln, wegen seiner Fremdsprachenfolge kamen nur zwei Schulen dafür infrage. Nachdem er ein halbes Jahr in den Prenzlauer Berg gependelt und die ganze Familie jeden Morgen um sechs Uhr aufgestanden war, suchten wir entnervt eine Wohnung in der Nähe der Schule und zogen um.

Blick auf die Pappelallee Richtung Eberswalder Straße, Prenzlauer Berg, Foto: weibblick

Blick auf die Pappelallee Richtung Eberswalder Straße, Prenzlauer Berg, Foto: weibblick

Ähnlich spontan ziehe ich jetzt wieder weg. Vor ein paar Wochen habe ich in Moabit eine Ladenwohnung zum Schreiben gefunden; wenig später stellte sich heraus, dass im selben Haus noch eine Dreizimmerwohnung frei war. Leben und arbeiten in getrennten Räumen, aber unter einem Dach, das erschien mir eine menschenfreundliche Angelegenheit; außerdem hatte das Haus einen schönen Hof und lag an einer weniger lauten Straße; deshalb entschieden wir uns umzuziehen. Weg aus dem Szenebezirk Prenzlauer Berg.

Die Entscheidung wegzugehen fiel mir schwer. Unsere alte Wohnung war schön, sie war hell und größer als die neue. Einerseits. Andererseits habe ich beim Renovieren im neuen Büro gemerkt, wie wenig mich im Prenzlauer Berg noch hält. Wie fremd mir der Bezirk geworden ist. Wie angestrengt die Leute oft wirken. Der magische Moment kam, als ich vom Renovieren der neuen Wohnung am frühen Nachmittag müde in meinen alten Kiez zurückkam und sich dort vor einem Spielplatz folgende Szene abspielte:
Mutter 1 (ihren Kinderwagen schuckelnd): Lasst uns doch ins Vego gehen.
Mutter 2 (unterbricht entsetzt ihr Schuckeln): Da gibt es Fastfood!!
Mutter 3 schuckelt langsamer, schaut irritiert und leicht angeekelt von Mutter 2 zu Mutter 1.
Mutter 1 (stärker schuckelnd, triumphierend): Aber es ist veganes Fastfood!!!

Soziale Blindheit

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich habe nichts gegen veganes Essen, auch nicht gegen veganes Fastfood. Im Gegenteil, es spricht eine Menge dafür, nicht nur weniger Fleisch, sondern auch weniger Eier und Milchprodukte zu essen. Nicht zuletzt die miesen Haltungsbedingungen, die selbst auf vielen Biohöfen herrschen, sind ein triftiger Grund. Und wenn das Essen zudem lecker und einigermaßen erschwinglich ist, umso besser. Ich habe auch nichts gegen junge Mütter; vor knapp 22 Jahren war ich selbst eine, und mein Freund und ich haben genug Dinge getan, die uns heute einigermaßen seltsam vorkommen (so erinnere ich mich zum Beispiel an eine mehrstündige Zugfahrt mit dem Neugeborenen zu den Großeltern, bei der wir neben etlichem anderen rund dreißig Stoffwindeln mitführten). Die oben geschilderte Szene scheint mir deswegen auch weniger symptomatisch dafür, was speziell Mütter im Prenzlauer Berg oder anderswo tun, als für eine generelle Stimmung, die ich dort seit einiger Zeit wahrnehme und die das Zusammenleben zu einer manchmal eher schwierigen und oft ziemlich unerfreulichen Angelegenheit macht.

Wenn ich beschreiben sollte, wie ich den Bezirk und viele seiner BewohnerInnen wahrnehme, würde ich sagen: Im Prenzlauer Berg regiert – mehr noch als anderswo – das Postulat der Selbstoptimierung. Das hat vermutlich viel mit den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre zu tun, aber auch damit, dass sich hier inzwischen alle so gleich sind. Der oder die typische Prenzlauer BergerIn ist irgendwo im Westen geboren, meistens in Westdeutschland, manchmal auch in England, Frankreich oder Spanien; er oder sie ist zwischen Mitte, Ende zwanzig und Mitte, Ende dreißig, hat studiert, im Ausland gelebt, hat kleine Kinder oder keine. Deutlich ältere oder jüngere Leute – von den zahlreichen Kleinkindern abgesehen – gibt es hier kaum. Menschen mit türkischen, arabischen oder vietnamesischen Wurzeln arbeiten zwar in den Imbissen, Restaurants, Spätkaufs und Kaffee-to-go-Bäckereien, die es praktisch an jeder Ecke gibt, aber sie wohnen hier nicht. Ärmere Menschen auch nicht. Man ist also unter sich.

Kleiner Laden für Schnickschnack in der Pappelallee, Prenzlauer Berg, Foto: weibblick

Kleiner Laden für Schnickschnack in der Pappelallee, Prenzlauer Berg, Foto: weibblick

Doch immer nur unter Gleichen zu sein hat Folgen. Man kennt das von Pubertierenden, die so auf sich und ihresgleichen fixiert sind, dass sie für die Befindlichkeiten anderer Menschen vorübergehend blind werden. Doch im Prenzlauer Berg handelt es sich nicht um ein vorübergehendes Phänomen, fürchte ich. Wie sehr diese soziale Blindheit das öffentliche Leben prägt, kann leicht beobachten, wer an einem schönen Sommertag eine nahezu beliebige Straße entlangläuft: Das Bewusstsein, dass es neben den eigenen Bedürfnissen – in einer Schlange vor dem Eisladen anzustehen, auf dem Bürgersteig zu stehen und gemütlich mit anderen zu klönen, zu dritt nebeneinander herzulaufen – auch noch die Bedürfnisse derjenigen geben könnte, die nur rasch mal vorbeiwollen, ist, um es freundlich zu sagen, unterentwickelt. Von sich aus zur Seite gehen wird hier kaum einer. Dabei sind die Leute durchaus nicht böswillig; spricht man sie an, machen sie meist bereitwillig Platz. Sie kommen, so vermute ich, nur nicht von sich aus auf die Idee, dass sie sich an einem Ort im öffentlichen Raum befinden, den sie mit Menschen teilen, die nicht notwendig dieselben Bedürfnisse haben wie sie selbst.

In gewisser Weise herrscht im Prenzlauer Berg also ewige Pubertät – und das nicht nur was die geringe soziale Wachheit der hier Lebenden betrifft. Auch das angestrengte Am-Ball-Bleiben – sozial, ästhetisch, kulturell – erinnert an den Habitus Heranwachsender. Mit Pierre Bourdieu könnte man sagen, die Menschen hier sind ununterbrochen beschäftigt mit der Akkumulation von sozialem und kulturellem Kapital. Wer ihnen dazu nicht brauchbar erscheint, taucht nicht auf ihrem Radar auf und ist praktisch unsichtbar. Vielleicht auch weil die ökonomische Situation immer schwieriger, immer unsicherer wird.

Irgendwas mit Medien

Es ist in den vergangenen Jahren viel geschrieben worden über die jungen Kreativen, die im Prenzlauer Berg leben und „irgendwas mit Medien“ oder auch was ganz Anderes machen, oft in prekären Verhältnissen, sich von Projekt zu Projekt hangelnd, immer in der geheimen Sorge, es könnte das letzte sein. Sie sind älter geworden, und angesichts massiver steigender Mieten ist es für sie schwieriger geworden, sich im Prenzlauer Berg zu behaupten. Selbst die, für die es gut läuft, haben rechts und links von sich in den letzten Jahren genügend Leute abstürzen sehen und leben mit der Angst. Weswegen, so vermute ich jedenfalls, die Selbstdarstellung, das Dazugehören, das „Richtig“ und das „Falsch“ plötzlich wieder diese ungeheure Macht im Leben der Leute bekommen haben, und die Frage, was man anhat, wo man einkauft oder isst, plötzlich keine mehr ist, die nach rein pragmatischen Gesichtspunkten beantwortet werden kann („Worin fühle ich mich wohl?“, „Was schmeckt mir?“), sondern immer Antwort darauf geben muss: „Bin ich draußen, oder gehör ich noch dazu?“ Deswegen ist es so wichtig, die Regeln zu kennen. Dazu gehört, dass Fastfood zwar out, veganes oder Bio- oder Edelfastfood aber in ist. Solches Wissen ist kulturelles Kapital, bedeutet Macht. Deshalb triumphiert Mutter Nr. 1 kulturell und sozial über ihre beiden Mitdiskutantinnen.
Anders gesagt: Mir fehlen mittlerweile im Prenzlauer Berg die Freundlichkeit, das Spielerische, Improvisierte, die Gegensätze, die den Bezirk einmal ausgemacht haben. Viele Freunde sind in den letzten Jahren weggezogen. Andere bleiben vor allem, weil sie günstige Mietverträge haben und sich eine Wohnung anderswo in Berlin nicht leisten könnten. Als wir vor zehn Jahren hierhergezogen sind, wohnten in unserem Haus noch viele Menschen, die schon zu DDR-Zeiten hier gelebt hatten, damit ist es jetzt vorbei: Als Erstes zog der alte Schmidt fort, der schon unter den Nazis Kommunist war; dann Bernd und Lothar, die den Fernsehturm am Alex mitgebaut haben. Das Ehepaar H. kämpft noch gegen eine Eigenbedarfskündigung, andere haben sich rauskaufen lassen. Stattdessen gibt es in unserem Haus jetzt Ferienappartements, in denen Berlinbesucher absteigen, die im Treppenhaus nicht grüßen.

Was aus dem Prenzlauer Berg wird? Schwer zu sagen. Die Investoren freuen sich, dass Mieten und Renditen steigen. Aber was wird aus denen, denen der Bezirk, seine Geschichte, seine Zukunft nicht egal sind? Die nicht nach Prenzlauer Berg gezogen sind, weil es schick wurde, und die nicht weiterziehen wollen?

Und Moabit? Das kommt mir im Moment angenehm entspannt vor. Vorm Fenster meiner Ladenwohnung laufen sie so ziemlich alle vorbei: Alkoholiker auf dem Weg zum nahen Edeka, Schulkinder, deren Großeltern aus Anatolien oder deren Urururgroßeltern aus Schlesien eingewandert sind, Hundehalterinnen, Handwerker, alte Leute. Bezirk ohne Dresscode, heißt es in einer Eigenwerbung, das trifft die Sache ziemlich genau. Angst macht mir, was die Makler sagen: Moabit sei im Kommen; die ersten Galerien öffnen schon.

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