Es war die Zeit, in der sich die Welt schneller zu drehen schien, Gewissheiten wie Kartenhäuser in sich zusammenfielen, der Tag nicht genug Stunden hatte, um alle Bälle in der Luft zu halten. Es war Gründerzeit nach dem politischen Herbst 1989. Für Frauen.
„Alle Frauen sind mutig, stark und schön“ – Rückblick auf unsere Geschichte
Wendezeit in den 90igern – „Frauen sind mutig, stark und schön“
Es war die Zeit, in der sich die Welt schneller zu drehen schien, Gewissheiten wie Kartenhäuser in sich zusammenfielen, der Tag nicht genug Stunden hatte, um alle Bälle in der Luft zu halten. Ein Zeitfenster also, in dem alles nicht nur veränderbar schien, sondern auch war. Die Bürgerbewegung hatte die frauenpolitischen Frauen zusammengeführt.
Die erste unabhängige Zeitschrift „Ypsilon“ war schon im Basis-Druck-Verlag gegründet. Aber es war noch Platz für mehr. Endlich konnten wir das beleuchten, was uns interessiert hat. Also habe ich mir ein kleines Informationsblatt für den Unabhängigen Frauenverband überlegt und es den Frauen Mitte 1991 vorgestellt. Ihnen gefiel das Projekt. Damit begann für mich und später für uns ein anstrengender aber wunderschöner Langestreckenlauf (Hindernisse eingeschlossen).
Die erste Ausgabe erscheint 1992 – quadratisch und erstellt in dem Programm QuarkXpress
»Bitte keine Sentimentalitäten. Frauen sind „mutig, stark, schön“ und klug. Es nützt heute niemanden mehr etwas, den alten aufregenden Tagen nachzutrauern, in denen sich Frauen spontan zusammengeschlossen haben. Wichtig ist, dass es uns überhaupt noch gibt und wir uns der Verantwortung für unser Geschlecht bewusst werden. Auch wir brauchen eine Stimme, durch die wir uns kenntlich machen … Ich wünsche mir, dass dieses Blatt zu einem Stück neuen Selbstbewusstseins beiträgt und sich viele Frauen inhaltlich daran beteiligen werden.«
Mit diesem kämpferischen Geleitwort erschien dann 1992 die erste kleine Ausgabe von weibblick. Vom Titel blickten die Augen der Monroe, die für den programmatischen Namen, – mit dem wir natürlich auch immer »Weitblick« assoziieren wollten, Pate standen. In einem ansonsten recht schlichten Erscheinungsbild drehten sich die Inhalte um die Probleme der Nachwendezeit: Die Wiedervereinigung war vollzogen, der Unabhängige Frauenverband, einziger frauenpolitischer Akteur im Winter des DDR-Zusammenbruchs, suchte nach seinem politischen Profil, nachdem der Traum einer Reformierung der DDR ausgeträumt war. Aber Probleme und Verunsicherungen gab es genügend.
Viele Frauen wurden von einem Tag auf den anderen arbeitslos, der Paragraph 218 galt nun auch in den neuen Bundesländern, Kindergartenplätze waren keine Selbstverständlichkeit mehr, ebenso die Hort- und Ferienbetreuung. Hinzu kamen die mentalen Unterschiede zwischen Ost und West, die Kultur des Ossis und des Wessis war geboren, die Gräben zwischen den Hälften Ost und West klafften immer breiter.
Wer erinnert sich nicht an die Anzahl der Veröffentlichungen von Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern, die sich auf die Spezies Mensch jenseits der Elbe stürzten und die dann erfahren durften, dass in den Kindergärten und Kinderkrippen »besondere Zuwendung und Zärtlichkeit durch das Betreuungspersonal stets untersagt waren, damit nicht der Neid der anderen Kinder geweckt werden könnte.« Oder: »Erzogen würde in der Familie, wenn überhaupt, nur autoritär.« Die Beispiele ließen sich fortführen, auch wenn es unbenommen war, dass Veränderungen dringend notwendig waren und sich nun endlich umsetzen ließen.
In den ersten Jahren des weibblicks spielte oft die Entwicklung der Frauenbewegung Ost eine Rolle, die sich zum Teil auf die Berichterstattung aus den neuen Wirkungsbereichen wie z.B. dem Bundestag oder dem Landtag konzentrierte und einen starken Akzent auf die Frauenprojektszene legte, die sich in den ersten Jahren von den ABM (ArbeitsBeschaffungsMaßnahme)-Geldern gründeten und etablierten. Nicht wenige der ehemals organisierten Frauen fanden dort den Gestaltungsspielraum ihres frauenpolitischen Engagements.
Kein Thema war mehr tabu
Aber es ging immer noch um etwas anderes. Die Zeit brachte ungeheuer viele Themen nach oben, ob es sich um gleichgeschlechtliche Liebe handelte, um das Leben von Alleinerziehenden und Migrantinnen oder das Thema Sucht – Stoffe also, die zu DDR-Zeiten in Zeitungen oder Illustrierten kaum Platz fanden. Gislinde Schwarz, in den 8oer Jahren Redakteurin der beliebtesten Frauenzeitschrift »Für Dich« erzählte einmal, dass sie drei Jahre kämpfen musste, um über die Probleme Alleinerziehender schreiben zu dürfen. Aber auch die feministische Literatur, die plötzlich allen zugänglich war – das Staunen über die vielen couragierten Wissenschaftlerinnen aus den alten Bundesländern, die ihre Wissenschaftsgebiete durch ihre feministische Kritik erweitert hatten – all das wollte vermittelt werden.
Einen kleinen Teil der Aufgabe übernahm auch der weibblick. Dieser ließ sich mit dem Setzen von Schwerpunkten für jedes Heft aus unterschiedlichen Sichtweisen darstellen. Autorinnen der Beiträge waren vorwiegend die Wissenschaftlerinnen selbst – die Brücke des sich Annäherns von West und Ost war beschritten.
Neben den regulären Ausgaben veröffentlichten wir zudem einige Sonderausgaben, zu den Themen Wirtschaft, Europa und Schule aus Frauensicht.
Der Unabhängige Frauenverband aus der Wendezeit löst sich auf – weibblick erfindet sich neu
1998, also 6 Jahre später, löste sich das inzwischen kleine Trüppchen des Unabhängigen Frauenverbandes nach dem Versuch eines teuren Reorganisationsprozesses auf. Auch für weibblick standen Veränderungen an. Das Profil musste sich ändern, das Heft hatte in der alten Form seine Schuldigkeit getan.
Wir wollten endlich dem journalistischen Anspruch eines Magazins näher kommen, natürlich im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten. Ein größeres Format sollte große Fotos für Bildreportagen ermöglichen, die Texte vorwiegend aus journalistischen Federn fließen. Klar war auch, dass wir den Alltag von Frauen in den Mittelpunkt stellen würden und ebenso »über den Tellerrand Deutschlands« blicken wollten.
Außer dem Titel änderte sich alles. Neben dem Titelthema wurden die klassischen Rubriken eingeführt. Wir fanden professionelle Fotografinnen und Autorinnen, die für unsere bescheidenen Honorare arbeiteten. Wenn ich mir heute die alten Hefte ansehe, war das tatsächlich ein Schritt aus einem ziemlich »kleinen Kreis« heraus. Das Abobarometer schlug nach oben aus. Neue Leserinnen und Leser interessierten sich für die Art der Sichtweise und entschieden sich für weibblick.
Erste Kapitulation nach 8 Jahren
Dass es letztendlich dennoch nicht gereicht hat, dürfte drei Hauptursachen haben: Erstens: Wir waren nicht gut genug, haben zuwenig kontroverse Debatten geführt, konnten kaum aktuell reagieren, haben kein »spezifisches« Klientel angesprochen.
Zweitens: Mit nur einer angestellten Person für den ganzen Laden waren wir ständig unterbesetzt. Seit Januar 2000 lief alles nur noch stundenweise. Dadurch blieb einiges auf der Strecke – bestimmte Geschichten wanderten für »Cash« in andere Magazine, Satz- und Layoutdienstleistungen für Auftraggeber wurden vorrangig bedient, weil hier der zahlende Kunde, die zahlende Kundin die Termine vorgaben. Wir hatten immer zu wenig Zeit und »Besinnung« mutierte zum Fremdwort.
Und der dritte Grund hat etwas mit der mangelhaften Werbung zu tun: ein circulus vitiosus, aus dem es kein Entrinnen gab – zu kleine Auflage, nicht vierfarbig – das sind Ausschlusskriterien für größere Anzeigen. Für Anzeigen einer Buchhandlung oder eines Naturkostladens waren wir nicht regional genug. Logisch, wer aus Borna geht schon in einen Berliner Laden? Selbst bei Verlagen hatten wir angeklopft, in der Überzeugung, dass das Blatt mit ein wenig Kraftzufuhr materieller und struktureller Art auf ausreichendes Interesse stoßen würde.
Als problematisch erwies sich nämlich auch das Vertriebssystem. Aus finanziellen Engpassen heraus gab es weibblick nur in ausgewählten Läden zu kaufen. Ein weiterer Kritikpunkt, den viele Leserinnen nicht verstanden haben: Wieso kann ich euch nicht am Kiosk kaufen? Wir haben es versucht. 1999 – als wir dachten, alles auf eine Karte zu setzen und eine Hamburger Firma mit dem Vertrieb in ausgewählten Großstädten und Bahnhofsbuchhandlungen beauftragen wollten, hätten wir vertraglich ein dreijähriges Bestehen zusichern müssen. Das war in Anbetracht der Situation unmöglich – und schon löste sich alles in Schall und Rauch auf.
Ebenso die Verlagssuche: Stellten die einen ihre Hauszeitschriften ein und wollten sich nur noch auf das Buchgeschäft konzentrieren, ließen andere durchblicken, dass selbst die Frauen-Bücher-Ecken auf den absteigenden Ast stünden und schon lange nicht mehr so lukrativ seien, wie sie es einmal waren.
Und die Zeitschriftenverlage? Die tüftelten in ihren Entwicklungsredaktionen und brachten dann z.B. im Oktober des Jahres »vivi@n« oder Mitte des folgenden Jahres »Glamour« heraus. »vivi@n«, Burdas Flagschiff, dass die Themen Wirtschaft – Frauen und Internet verbinden sollte, wurde nach nur drei Monaten wieder eingestellt.
Waren wir und unsere Leserinnen tatsächlich so «neben der Zeit«? Wir hatten noch einmal nachgefragt: was mögen unsere Leserinnen an weibblick, woran mangelt es? Im Jahr 2000 konnten wir dann sehr genau sagen, dass die meisten zwischen 30 bis 45 sind, vorwiegend ein eigenes Einkommen und einen Fach- oder Hochschulabschluss haben, zum Teil mit Kindern leben.
Gelesen wird in ihren Haushalten meist mehr als nur eine Tageszeitung und für Mode interessieren sie sich nur so viel, dass sie ihren eigenen Stil verfolgen und seine Komplettierung im Auge behalten. Sie hätten gern mehr aktuelle Beiträge, finden Gefallen an den vielfältigen und zum Teil längeren Texten, schätzen das fundierte Herangehen und vermissen zum Teil eine ausführlichere Frauen Politik Berichterstattung.
Alles in allem bekundeten die Zuschriften eine hohe Zufriedenheit. Darin wurden wir noch mit Briefen und Kärtchen bestätigt. Ziemliche Einigkeit bestand auch darin, dass der Name weibblick erhalten bleiben sollte, obwohl wir selbst damit, ehrlich gesagt, unsere Probleme hatten. Irgendwie hört sich weibblick etwas antiquiert an und vereint nicht mehr unsere Vielfalt der Themen und Sichtweisen.
Frauenpolitisches Engagement hat sich spätestens mit den jüngeren Frauen verändert, für die zwar »Feminismus« dem damaligen Hause Allensbach nach »in« war, die diesen aber ausschließlich mit der Vereinbarkeit von Beruf und sich selbst und vielleicht der Familie assoziierten. Dass es dann doch ziemlich individuell abläuft, zeigten Zahlen, die ein mageres Interesse an Vereinen oder Parteien verdeutlichten.
weibblick geht 2000 ins Netz – und verschwindet dort nach zwei Jahren
Ihre und eure Zuschriften, liebe Leserinnen und Leser, waren es, die uns damals ermuntert haben, in einer anderen Form weiterzumachen. Nicht mehr als ein Printmagazin, sondern als ein E-Zine.
Es sollte ein letzter Kompromiss sein, den wir eingehen wollten, um den Titel nicht ganz von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Wir dachten, dass sich vielleicht künftig andere Mittel und Wege erschließen lassen würden, die Printausgabe wieder aufleben zu lassen – oder aber ein anderer Titel in die kleine Lücke, die weibblick in der Zeitungslandschaft hinterlässt, hineinspringen werde. (Das ist passiert. So hat z.B. Missy einen ganz neuen Ton angeschlagen.)
So haben wir also 2002 weibblick ins Netz gehoben – bis uns dann der Provider in die große weite Netz-Wolke entlassen hat und wir uns nicht mehr wieder gefunden haben. Weg ist weg. Dachten wir.
Weibblick ist seit November 2012 wieder da
Nun: 10 Jahre später nehmen wir erneut Anlauf. Online war ja nichts mehr da. Disketten oder Floppys liest kein Computer mehr und damals wurden die Filme noch in der Druckerei belichtet. Also habe ich alle Ausgaben mit tatkräftiger Unterstützung (Danke, Egmont!) eingescannt. So stehen die alten Ausgaben für alle zur Verfügung, die ein Stück dieser Zeit zwischen 1992 und 2002 nachspüren wollen.
Epilog
Ich bin davon ausgegangen, dass alle Autorinnen, Fotografinnen und Fotografen einverstanden sind, dass ihre Beiträge wieder als PDF abrufbar sind. Vielen Dank. Sollte jemand nicht einverstanden sein, bitte ich um eine Email, um die betreffenden Seiten zu entfernen. (Annette)