Unter allen Vereinbarkeiten des Lebens steht die von Familie und Beruf bei Google an erster Stelle. Das ist wohl so, weil alle nach einem Weg suchen, sie herzustellen. Doch wieso ist der so schwer zu finden?
Lebenswege
Während in der Böll-Stiftung die Vorbereitungen für den Kongress „Für einen neuen Generationenvertrag“ anliefen, feierte meine Mutter ihren siebzigsten Geburtstag. Wie sehr sich die Ansprüche zwischen den Generationen geändert haben, ist mir aufgefallen, als ich ihr Leben nachzeichnete, in dem wir – mein Vater, meine Schwester und ich – ebenfalls eine Rolle spielen.
Mutter und Großmutter
Meine Mutter ist nach dem Krieg in einem Frauenhaushalt (Vater und Großväter waren im Krieg gefallen) aufgewachsen, wurde nach der Schule Bibliothekarin, lernte meinen Vater (Gitarre spielend) mit 18 kennen und lieben, heiratete ihn mit 19 und brachte mich auf die Welt. Meine Schwester folgte zwei Jahre später. In den ersten Jahren wohnten wir in einem Zimmer bei meiner Großmutter (Wohnraum war knapp), meine Mutter ging Nachts auf die Post Briefe stempeln, um etwas hinzuzuverdienen und mein Vater arbeitete immer, wenn er nicht gerade als Reservist von der NVA „eingezogen“ wurde. Gearbeitet wurde 45 Stunden pro Woche, ab 1967 reduzierte es sich auf immerhin 43,3/4 Stunden. Einkaufen oder Saubermachen fielen auf den Samstag, den wir als Kinder hassten! Und der Sonntag war dann Familien-Ausflug-Schönsein-Tag.
Familienleben
Nebenbei hat meine Mutter ein Fernstudium in Pädagogik bestritten, mein Vater einen Betrieb gegründet und wir haben die erste Wohnung mit Außenklo und Aussicht auf einen sehr großen Kohlenhaufen bezogen. Viel Zeit für Trallala blieb da nicht. Meine Schwester und ich waren Schlüsselkinder, aber die anderen waren es auch. Und wir waren viele, was es einfach machte, nach dem Hort miteinander draußen zu spielen oder Blödsinn zu machen. Kinderreiche Familien waren da noch keine Seltenheit. Meine Mutter pendelte also zwischen Kindergarten und Familie hin und her. Zeit für sich selbst hatte sie eher wenig. Yoga-Kurse, Meditation oder Baby-Schwimmen gab es nicht. Sie arbeitete gerne, übernahm den größten Teil der Familienarbeit und leitete später sehr große Kindereinrichtungen. Ein Haus haben meine Eltern nicht gebaut. Meine Mutter befürchtete, dass danach die Beziehung kaputt wäre. Auch besaßen wir keinen pflegeintensiven Garten, dafür aber einen Campingwagen am See. Und mit dem ging es dann landauf, landab. Bei meiner Schwester hörte der Musiklehrer richtig hin und mein Vater machte sich mit seiner kleinen Tochter zweimal in der Woche auf, um sie in den Kinderchor zu bringen. Später wechselte sie dann auf eine Spezialschule für Musik ins Internat. Während des Studiums bekam sie ihr erstes Kind und bis heute ist sie Sängerin an einer Oper. Die ersten Jahre lebte sie mit Mann und Kind ebenfalls bei meinen Eltern in einem Zimmer. Meine Mutter kümmerte sich um ihr erstes Enkel, wenn es um fünf Uhr morgens nach Aufmerksamkeit gierte, bevor sie um halb sieben aus dem Haus zur Straßenbahn eilte.
1989 – Zeitenwende. Manches bleibt, anderes bricht, Neues entsteht
Nach der Wende sah die Welt etwas anders aus. Alles rutschte, die Aufträge im Betrieb meines Vaters blieben aus: westdeutsche Firmen mit Subunternehmern übernahmen die Geschäfte. Jeden Morgen standen drei Angestellte vor der Tür: „Meister, hast Du Arbeit?“. Mein Vater investierte (letztendlich umsonst) und war bis in die Nacht unterwegs; meine Mutter hängte ihren geliebten Beruf an den Nagel und entschied sich für den Betrieb, obwohl wir ihr davon abrieten. Schließlich war sie nie Parteimitglied gewesen. Auf meine Frage, ob sie diesen Schritt nicht bereut habe, antwortet sie: „Man muss sich entscheiden und manchmal auch für den Partner etwas mittragen. Für deinen Vater war es überlebensnotwendig.“ Sie haben es geschafft, irgendwie – die Rente ist nicht hoch. Aber sie leben noch gut miteinander. Auch meine Tochter ist zu einem nicht geringen Teil mit Hilfe meiner Eltern und Schwester groß geworden. Zur Wende geboren, hieß meine Vereinbarkeit: freiberuflich arbeiten, Geld ranschaffen, einen zusätzlich westdeutschen Abschluss machen (besser ist besser) und das Kind in der Krippe und später im Kinderladen für 10 Stunden betreut wissen. Meine Tochter saß mit 5 Jahren alleine im Zug, um zu ihren Großeltern zu pendeln und zur Schule ging sie recht flott als Schlüsselkind. Auch hier: es gab Musik und den freien Ausflug-Dorf-Pferde-Sonntag. Das Kind ist erwachsen geworden und findet sich recht gut im Leben zurecht. Sie lebt mit ihrem Freund zusammen, und es ist schon gar keine Frage mehr: waschen, putzen, kochen werden geteilt. Ende der Ansage. Beide wissen, dass es sie irgendwohin in der Welt spülen könnte. Ihre Studienprofile sind so ausgerichtet. Sie sagen: Es kommt wie es kommt. Und ich antworte dann: Okay, ein Kind ist auch kein Ding. Das kriegen wir groß.
Der Beitrag erschien auch in Böll.Thema, 2/2014, Wir müssen uns mal unterhalten – Schwerpunkt Generationenvertrag.