Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Die Legende von Angela Merkel

Wer die Regierungsjahre der Bundeskanzlerin und ihre vorherige politische Laufbahn Revue passieren lässt, kann zu dem Schluss kommen, dass Angela Merkel sich durchsetzt. Allerdings weniger mit einer eigenen Politik, sondern mit einem Gespür dafür, wohin sie ihren Hals wenden muss.

Was ist eigentlich so toll an Angela Merkel, dass über 50 Prozent der Deutschen sie auch noch nach der Bundestagswahl im September 2013 im Amt der Bundeskanzlerin sehen wollen? Und über 70 Prozent sagen, sie mache eine gute Figur in der Euro-Krise, sprich, sie halte Deutschland die Krise vom Hals? Ich frage mich seit 2005, wie sie überhaupt je Kanzlerin werden konnte? Eine Frau in der Politik, die sich bis dahin durch nichts in ihrer politischen Laufbahn irgendwie ausgezeichnet hatte? Weder hat sie als Frauenministerin das Rad für eine zeitgemäße Familienpolitik in der CDU neu gedreht, noch hat sie als Umweltministerin etwas Entscheidendes in Richtung Energiewende zur Rettung der Umwelt bewegt. Tatsache ist, dass Angela Merkel bis heute nicht aus der Atomkraft ausgestiegen wäre, wären in Fukushima nicht im März 2011 mehrere Atomreaktoren in ihren Kernen geschmolzen. Nur sechs Monate vor der Reaktorkatastrophe in Japan hatte Merkel mit den Atombossen eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Atommeiler ausgehandelt. Der Ausstieg aus der Atomenergie, zuvor von der rot-grünen Regierung festgelegt – mit einem Federstrich wurde er rückgängig gemacht.

Illustration: Peter Derrfuss/Pixelio.de

Illustration: Peter Derrfuss/Pixelio.de

Krisenmanagerin? Von wegen

Was die seinerzeit neu gewählte Kanzlerin Merkel allerdings nicht rückgängig machte, waren die von SPD und Grünen eingeleiteten Arbeitsmarktreformen, die unter den Namen Agenda 2010 und Hartz IV eine bis dahin nie dagewesene Deregulierung des Arbeitsmarktes mit sich gebracht haben. Sie haben Deutschland einen Niedriglohnsektor beschert, in dem inzwischen mehr als sieben Millionen Menschen, vor allem Frauen arbeiten. Sieben Millionen und mehr, die von ihrer Arbeit im Prinzip nicht leben können. Und auf der anderen Seite Unternehmen, die kaum noch nennenswerte Steuern zahlen müssen und stattdessen trotz Krise satte Gewinne einstreichen. Gern wird in der aktuellen Krisendiskussion übersehen, dass unter anderem genau dieser deregulierte Arbeitsmarkt und diese unternehmerfreundliche Steuerpolitik der rot-grünen Koalition Deutschland bisher vor den schlimmen Folgen des Bankencrashs wie für Millionen Menschen in den USA, Island, Irland und derzeit Südeuropa bewahrt haben. Und nicht die Kanzlerin.

Zugutehalten kann man Angela Merkel, dass sie kurz nach ihrem Amtsantritt, ihren Amtsvorgänger Gerhard Schröder ausdrücklich für die Arbeitsmarktreformen gelobt hat. Doch was bleibt dann da noch nach acht Jahren Kanzlerinnenschaft an Eigenleistung? Nichts eigentlich außer die Gunst der Stunde, auf den vorbereiteten Wegen der Vorgänger-Regierung wandern zu können. Der Rest ist Werbung für sich selbst wie sie heute keine Werbeagentur, die etwas auf sich hält, mehr fahren würde.

Die Mutti der Nation

Da ist die Kanzlerin, die statt in schickem italienischem Tuch in funktionaler Outdoor-Kleidung mit ihrem Mann auf Ischia wandern geht. Oder mit der ganzen Familie, Stiefsohn und Enkelkindern urlaubt. Die BILD hat sich im Wahljahr vorgenommen, die Kanzlerin nahezu täglich von einer ganz anderen Seite zu zeigen: als eine Frau, die ihre wenige Freizeit in trauter Innigkeit mit ihrer Familie zeigt. Als Stiefmutter und Oma, die alle am liebsten bekocht, am Herd in der Datsche in der Uckermark. Flankiert wird die Berichterstattung über die Mutti der Nation von zwei kurz hintereinander erschienenen Büchern über Angela Merkel, die zwei BILD-Autoren geschrieben haben. Das eine Buch beschreibt sie als „Zauder-Künstlerin“, das andere als „Reformkommunistin“ mit Nähe zur Stasi. So viel anscheinend differenzierte Berichterstattung soll natürlich Objektivität seitens der BILD-Redaktion nahelegen. Nur: Am Ende singt der BILD-Chor einstimmig ein Loblied auf die Kanzlerin und was sie nicht alles durchgesetzt hat. Summa summarum kommen da nicht mehr als der Atomausstieg, Arbeitsmarkt und Rente mit 67, alles von den Vorgängern eingefädelt, zusammen. Dann hier ein bisschen Kritik, dort ein paar Haare in der Suppe – doch im großen und ganzen sei sie die Kanzlerin der Deutschen.

Wirklich? Angela Merkel kann sich ohne weiteres durchsetzen, hat so manchen Gegner in ihrer Partei regelrecht abserviert. Sie ist die Köchin, nicht nur am heimischen Herd. Aber was, wenn die Probleme eines Tages so groß werden, die ausgetretenen Pfade nicht mehr ausreichen, der Hals sich nicht mehr wenden kann, weil gerade niemand anders eine Lösung parat hält und sie selbst handeln muss? Dann muss sie Rezepte haben, die mehr Menschen und nicht nur ihre Familie überzeugen. Zu befürchten ist, dass sie keine haben wird. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich dann darüber freuen werde, dass Merkels Küche kalt bleibt und sie unverrichteter Dinge wieder abdecken kann? Wenn dann auch die Krise in Deutschland zuschlagen sollte, ist damit niemandem geholfen, hier nicht und in ganz Europa nicht.

Man muss nur genau hinhören, um zu verstehen, auf welch’ unterschiedlichen Tickets sich Angela Merkel politisch bewegt. Unlängst behauptete sie, Schuld an der Krise und hohen Arbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern seien die dort bestehenden gesetzlichen Mindestlöhne. Dennoch streitet sie im aktuellen Wahlkampf für branchenbezogene Lohnuntergrenzen, was im Detail verschiedene Mindestlöhne meint, die es in einigen Branchen inzwischen schon gibt. Was im Süden angeblich in die Krise geführt hat, ist hierzulande zumindest bis zur Wahl offenbar dienlich, weil nahezu alle anderen Parteien einen flächendeckenden Mindestlohn einführen wollen und auch über 80 Prozent der Bundesbürger/innen einen solchen befürworten.

Im Rausch der Wahl

Sprunghaft und anbiedernd ist die Kanzlerin auch, wenn es mal nicht um Politik geht. Als Angela Merkel unlängst im Filmkunst 66 in Berlin mit ausgewähltem Publikum ihren Lieblingsfilm noch einmal gucken durfte, wählte sie dafür den DDR-Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“, ein Film, der ihrer Meinung nach, die tatsächliche Realität ihrer Jugendzeit spiegelte. Eine Alleinerziehende und ein unglücklich Verheirateter im Rausch der Liebe und den Zwängen des Systems. Vor einem Jahr nannte Angela Merkel als ihren Lieblingsfilm noch „Jenseits von Afrika“, eine opulente Verfilmung aus dem kolonialen Afrika. Zweifelsohne ein schöner Film, jedoch in Wahlzeiten vielleicht mit dem falschen Sendungsbewusstsein: Eine Farmerin, die es zwar gut meint mit ihren Sklaven, hält sich aber eben doch welche. Mit „Paul und Paula“ lässt sich viel besser vermitteln, wie normal man selbst doch ist. Da darf man dann im anschließenden Gespräch auch erzählen, dass man früher bei den Partys Bardame war und Kirschsaft mit Wodka mischte. Seht her, ich bin genauso wie ihr.

Vermutlich ist die Kanzlerin vom Gemüt her tatsächlich eher schlicht, ihre Ansprüche bescheiden. Andererseits ist ihr Spiel mit der Öffentlichkeit recht durchschaubar. Ihre Partei, die CDU, hat die letzten Landtagswahlen nicht trotz ihrer beliebten Kanzlerin verloren, sondern weil am Tag der Wahl dann oftmals doch entscheidet, wer die bessere Politik verspricht zu machen. Und da haben die CDU und auch Angela Merkel kein erkennbares Profil. Und wo kein Profil ist, muss eins gefräst werden. Mangels Politik notfalls aus der eigenen Person. Ob das reicht, um noch einmal gewählt zu werden? Das kann eigentlich nicht sein.

 

Nikolaus Blome, Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin, Pantheon-Verlag 2013, 206 S., 16,99€

Ralf Georg Reuth/Günther Lachmann, Das erste Leben der Angela M., Piper Verlag 2013, 19,99S., 19,99 €

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