„Was heißt für Sie: Feminismus?“ fragte der Deutsche Frauenrat vor einigen Wochen. Anlass, mir ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema zu machen. Bin ich Feministin? Und wenn ja, warum?
Eine Vision vom guten Leben – Feminismus als gesellschaftliche Avantgarde
Woher eine kommt, ist ja oft dafür entscheidend, wie sie die Dinge sieht. Ich zum Beispiel bin in den Siebzigerjahren in einer bundesrepublikanischen Neubau-Reihenhaussiedlung aufgewachsen. Praktisch alle Frauen, die dort wohnten, hatten eines gemeinsam: Mit der Hochzeit, spätestens mit der Geburt des ersten Kindes blieben sie zu Hause. Sie waren Sekretärinnen, Kindergärtnerinnen, Bankkauffrauen, Übersetzerinnen gewesen. Jetzt wuschen sie Kleider, kochten Essen, bepflanzten Gärten, verwalteten die Finanzen, fuhren die Kinder zum Sport, bügelten, gingen zu Elternabenden, buchten Urlaubsreisen, organisierten Straßenfeste, machten die Einkäufe, besuchten Volkshochschulkurse, leiteten Kirchenkreise, schleppten Getränkekisten, betreuten Ausländerkinder bei den Hausaufgaben oder engagierten sich im Eine-Welt-Laden. Kurzum: Sie taten eine ganze Menge. Aber sie gingen nicht arbeiten – und waren manchmal auf eine etwas hysterische Weise stolz darauf.
Ich denke, wenn es so etwas wie einen Nährboden für meine feministischen Überzeugungen gibt, dann ist es diese Szenerie. Ob alle diese Frauen glücklich waren, so wie sie lebten, weiß ich nicht. Selbst wenn sie sich, wie sie gerne betonten, bewusst dafür entschieden hatten, blieb ja das Problem, dass ihre beruflichen Qualifikationen nach einiger Zeit veraltet waren und sie spätestens dann oft keine Wahl mehr hatten. Sie waren Hausfrau und Mutter. Das Geld, das sie ausgaben, verdienten nicht sie. Jede Trennung hätte einen sozialen Abstieg bedeutet.
Wenn es darum heute einen Kern meiner feministischen Überzeugungen gibt, dann lautet er: Um wirklich frei in ihren Entscheidungen zu sein, müssen Frauen über eigenes Einkommen verfügen – genauso wie Männer. Sie müssen imstande sein, sich und gegebenenfalls ihre Kinder zu ernähren, zu kleiden und ihnen ein Dach über dem Kopf zu sichern. Denn nur, wer das kann, agiert auf Augenhöhe.
Das mag banal klingen, und ist es vielleicht auch. Doch seltsamerweise spielt die Frage, was Geld mit Emanzipation zu tun hat, in Frauenkontexten bis heute eine ziemliche unterbewertete Rolle; der Deutsche Frauenrat stellt da eine löbliche Ausnahme dar. Aber ansonsten? Sexismus, Gewalt, Prostitution, die Abtreibungsfrage – alles mobilisiert Feministinnen hierzulande stärker als die Frage, ob Frauen genug zum Leben haben.
Ein paar Zahlen
Zur Erinnerung: Wir schreiben mittlerweile das Jahr 2013, und in Deutschland sind drei von zehn Frauen im Erwerbstätigenalter nicht berufstätig. Drei weitere arbeiten Teilzeit – oft für ein besseres Taschengeld, ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld oder spätere Rentenzahlungen in einem sogenannten Minijob. Nur vier von zehn haben einen Vollzeitjob (europaweit sind es nur in Italien, Malta und den Niederlanden noch weniger). Doch selbst solche Stellen sind, wie wir wissen, nicht in jedem Fall existenzsichernd, rund ein Drittel aller vollzeiterwerbstätigen Frauen schuftet zu Niedriglöhnen. Eine Friseurin beispielsweise geht in Nordrhein-Westfalen mit 1.390 Euro nach Hause, eine Floristin in Brandenburg mit 1.237 Euro – typische „Frauenjobs“ eben, die kaum die Kosten für einen Singlehaushalt decken.
Vorsichtig geschätzt ist damit derzeit mehr als die Hälfte der Frauen nicht oder nur knapp in der Lage, ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ein Aufschrei geht deswegen nicht durchs Land. Dabei gibt es seit einiger Zeit durchaus gleichstellungspolitische Initiativen, die auf die Wirtschaft zielen: für mehr Chefredakteurinnen, für mehr Frauen in die Aufsichtsräte. Ehrenwerte Anliegen, gewiss. Aber wie viel nutzen sie denen, die diese Jobs ohnehin nicht kriegen werden?
Diese Frage ist keineswegs bloß rhetorisch gemeint. Schon als Studentin fand ich seltsam, dass auf keinem feministischen Flugblatt die Forderung nach „mehr Frauen auf C4-Professuren“ fehlte. Auf die Idee, für eine bessere Bezahlung der Frauen zu kämpfen, die unsere Seminarräume sauber hielten oder die Bücher in unseren Bibliotheken sortierten, ist nie jemand gekommen.
Doch Feminismus, wie ich ihn verstehe, ist eine Gerechtigkeitsfrage. Es geht dabei nicht in erster Linie darum, was sich verändern muss, damit hoch qualifizierte Frauen dieselben Möglichkeiten wie hoch qualifizierte Männer haben. Es geht um Selbstbestimmung und Menschenwürde und um ein gutes Leben für alle.
Visionen vom guten Leben
Der Feminismus, den ich mir wünschen würde, wäre deshalb einer, der die Lust am Denken und an der gesellschaftlichen Veränderung wieder in den Mittelpunkt stellt. Der sich für eine gerechtere Verteilung der Arbeit, für radikale Arbeitszeitverkürzungen, für ein faires Tarif- und Steuersystem einsetzt. Der feministische Wirtschaftskonzepte ernst nimmt und nach Wegen sucht, sie umzusetzen. Kurz: Der sich erinnert, dass es so, wie es ist, nicht bleiben kann.
Und vielleicht müsste ein solcher Feminismus auch Menschen ernst nehmen, die nicht voll erwerbstätig sein wollen. Denn es steckt ja ein richtiger Kern darin. Vieles, was heute in der Erwerbstätigenwelt stattfindet, schadet mehr, als es nutzt. Güter, die mühsam produziert, verpackt und verkauft werden, landen innerhalb kürzester Zeit auf dem Abfall – verbrauchte Ressourcen, verschwendete Energie. Viele Dienstleistungen – von der Unternehmensberatung bis zur Zahnbleichung – wären ohne Weiteres entbehrlich, auch unsere eigene Volkswirtschaft kam noch vor Kurzem sehr gut ohne sie aus. Und selbst in an sich nützlichen Jobs gibt es viel dröhnenden Leerlauf – wer regelmäßig an Dienstbesprechungen oder Gesamtkonferenzen teilnehmen muss, kann das bestätigen.
Das Problem für Menschen, die nicht erwerbstätig sind, ist also nicht, dass das, was sie stattdessen tun, notwendigerweise weniger sinnvoll oder unproduktiver ist, als wenn sie zur Arbeit gingen. Das Problem ist einerseits, dass es heute vor allem Frauen sind, die das tun. Und andererseits die fehlende Existenzsicherung.
Die Lösung heißt Umverteilung: von Geld und von Arbeit. Die, die von beidem zu viel haben, müssten denen etwas abgeben, die von beidem zu wenig haben. Auch das bedingungslose Grundeinkommen könnte ein Weg sein – für Männer und Frauen. Es würde beiden Geschlechtern ermöglichen, freier über ihre Arbeitskraft zu entscheiden: Wer es befriedigender findet, eine Bürgerinitiative zu gründen, Kinder großzuziehen oder Alte zu pflegen, als vierzig Stunden in einer Bank zu arbeiten oder Dinge zu verkaufen, könnte das leichter als heute tun.
Klingt utopisch? Radikal? Weltfremd? Ist es sicher. Aber damit haben Feministinnen ja Erfahrung. Antje Schrupp hat neulich in ihrem Blog mit zwei Beispielen die Rolle der Frauenbewegung als gesellschaftliche Avantgarde unterstrichen: Hätte man Frauen (und Männer) 1890 zum Frauenwahlrecht oder 1970 zur Vergewaltigung in der Ehe befragt, hätte die überwältigende Mehrheit von ihnen eine entsprechende Regelung als zu radikal abgelehnt. Dreißig Jahre später hatten Feministinnen beides durchgesetzt – und keineR rüttelte mehr daran.
Das Heft mit weiteren Antworten, unter anderem von Gudrun-Axeli Knapp, Inge von Bönninghausen, Sonja Eismann, Thomas Gesterkamp und Sven Lehmann, erscheint Mitte Dezember und ist erhältlich über den Deutschen Frauenrat
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