Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Die neue i-Zelle

Ist das Einfrieren von Eizellen aus sozialen Gründen ein Akt der Selbstbestimmung oder eine schreckliche Zukunftsvorstellung? Eher letzteres

„Social freezing“, das Einfrieren von Eizellen aus sozialen Gründen, hat mir einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen lassen, als es jetzt plötzlich durch alle Medien geisterte. Vielleicht, weil ich gerade den Roman „Der Circle“ von Dave Eggers gelesen habe. Was in dem Buch noch als unheilvolle Utopie geschildert wird, das Sich-Verkaufen an ein Start-up-Unternehmen, das im IT- und Social-Media-Bereich die Welt erobern will, ist also längst Realität. Facebook bezahlt seinen Mitarbeiterinnen bereits das Einfrieren ihrer Eizellen, Mitarbeiterinnen des Apple-Konzerns werden ab Januar 2015 iZellen tiefkühlen und ihre persönliche Familienplanung aufschieben können.

„Geht’s noch?“, war die erste spontane Reaktion von Elke Hannack aus dem DGB-Bundesvorstand. Richtig ist offenbar: Es geht schon! Und zwar seit einigen Jahren. Anfangs wurde das Einfrieren eigener Eizellen jungen Krebspatientinnen angeboten, aus medizinischen Gründen. Chemotherapien und Bestrahlungen können neben vielen anderen Organen auch Eizellen und Eileiter schädigen. Die eingefrorene Eizelle ist dann ein zunächst uneingelöstes Versprechen auf eine spätere komplikationslose Schwangerschaft, wenn die Krebserkrankung und -behandlung überstanden ist. Bei Apple und Facebook geht es jetzt offiziell darum, den Frauenanteil im Unternehmen zu erhöhen und mehr Frauen durch die gläserne Decke stoßen, also Karriere vor einem Kind machen zu lassen.

Aus vielen mach vier – künstliche Befruchtungen führen oft zu Mehrlingsgeburten

Aus vielen mach vier – künstliche Befruchtungen führen oft zu Mehrlingsgeburten

Bei Dave Eggers ist das Unternehmen Circle genau ein solches Unternehmen. Es gibt vor, nur Gutes zu wollen: weniger Kriminalität, sichere Städte, transparente Politik für alle, eine dynamische Wirtschaft dank pausenloser Produkt-Empfehlungen, eine Partnerbörse nur mit Volltreffern, Unterstützung freier Künstler und natürlich die Förderung von Frauen – wenn sie sich dem System des Circles mit Haut und Haar verpflichten.

Ungefähr ab Mitte des Romans rennt die Hauptfigur Mae Holland dauerhaft mit einem Armband rum, das die Gesundheitsstation des Unternehmens sekündlich mit Daten zum allgemeinen Gesundheitszustand der Frau versorgt. Natürlich können sie Mae Holland auch voraussagen, an was sie erkranken wird, wenn sie so weiterlebt wie bisher, und wann sie ihre fruchtbaren Tage hat. Allerdings hat sie ohnehin so viel Arbeit, dass sie nur äußerst selten in die Verlegenheit gerät, mit irgendeinem dahergelaufenen Kollegen Sex zu haben, und dank Gesundheitsstation hat sie zudem Kondome ohne Ende.

Wer will so leben?

Als ich das Buch am Ende zuschlug, habe ich mich gefragt: Wer will so leben? Jetzt habe ich die Vermutung, abertausende leben teils schon so. Von Google ist bekannt, dass etliche Beschäftigte heute bereits dauerhaft auf dem Campus des Unternehmens leben. Auch Mae Holland beschließt eines Tages, auf das Gelände des Circles zu ziehen, das immer mehr Einzimmerapartment-Häuser baut. An Familien wird gar nicht gedacht, obwohl es selbstverständlich auch einen Betriebskindergarten gibt. Den haben Apple und Co. auch schon lange. Facebook prämiert überdies jedes Baby einmalig mit 4.000 US-Dollar Kindergeld, beide Unternehmen zahlen maximal 18 Wochen Elterngeld, also eine Auszeit fürs Kind, die ansonsten in den USA nicht gesetzlich vorgeschrieben ist.

Aber ich komme zu meiner Frage zurück: Wer, vor allem welche Frau will so leben, und sei es um der Karriere willen? Das ganze Leben ein einziger Plan. Frau legt heute fest, in welcher Zeit sie ihre Ausbildung und Karriere macht und wann sie schwanger werden will, was dann natürlich auch klappen muss, was allerdings bei einer künstlichen Befruchtung, die ihre aufgetauten Eizellen benötigen, längst nicht sicher ist. Und das Kind ist schließlich auch schon verplant. Mit dem Eintritt in die Betriebskita, mit frühkindlichen Hobbys, die der frühkindlichen Förderung dienlich sind, etc. pp. Wenn das Kind dann später mal fragen sollte, wie es eigentlich entstanden ist, dann wird die Antwort lauten: aus einer tiefgekühlten iZelle.

Vielleicht ist genau dies die Zukunft

Ich stelle mir gerade vor, wie allein die Aufklärungsbücher für Kinder, die es in unserem Haushalt gibt, umgeschrieben werden müssten. Oder Janosch’s Buch „Mutter sag, wer macht die Kinder“ keine kopulierenden Tiere und Menschen mehr zeigt, sondern nur noch eine Tiefkühltruhe mit Eiern. Das klingt absurd, aber vielleicht ist die Zukunft genau diese. Kinder auf natürliche Weise zu zeugen, wird nicht mehr die Norm sein, sondern die künstliche Befruchtung mit all ihren Unwägbarkeiten. Bei den Geburten sind die terminierten Kaiserschnitte schließlich auch auf dem Vormarsch, die natürliche Spontangeburt dann irgendwann etwas für ewig Gestrige. Allein die nicht mehr bezahlbaren Haftpflichtversicherungen für Hebammen leisten dieser Entwicklung auch hierzulande immer mehr Vorschub.

„Geborgen“ von Gisela Peter/pixelio.de

„Geborgen“ von Gisela Peter/pixelio.de

Wollen wir wirklich so leben? Bisher war die Reproduktionsmedizin eine Hilfe für Paare, die sich ihren Kinderwunsch auf natürlichem Weg nicht erfüllen können. Eine künstliche Befruchtung ist immer mit hohen Risiken verbunden, und zwar allein für die Frau, die die ganze Prozedur auf sich nimmt, und das ungeborene Kind. Diese Risiken ohne Not auf sich zu nehmen, bloß weil es zeitlich, beziehungsweise beruflich besser passt, erst mit 40 oder gar 50 Jahren schwanger zu werden, was eben auf natürlichem Weg immer unwahrscheinlicher wird, mag frau unter Selbstbestimmung verbuchen. Samenbanken für Männer gibt es schließlich auch. Aber weder müssen die Männer für die Konservierung ihrer Samen risikobehaftete Behandlungen auf sich nehmen, noch wird gern betont, dass auch sie, die Männer, mit zunehmenden Alter rapide unfruchtbarer werden und auch ihre Samen Ursachen für spätere Behinderungen eines Kindes sein können.

Die biologische Uhr

Wir können es drehen und wenden wie wir wollen, die biologische Uhr in uns allen tickt seit Millionenjahren annähernd gleich. Wir können sie zwar künstlich überwinden, tun das aber offenbar zunehmend, um uns für den Arbeitsmarkt zu optimieren, und verlieren aus den Augen, dass sich schließlich auch der Arbeitsmarkt zugunsten von Familien mit Kindern optimieren könnte. Dafür bedarf es nicht einmal Hormone.

Mal ehrlich: Kindermachen und Kinderkriegen hat schon mal mehr Spaß gemacht. Aber Apple, Facebook und Co. werden sich allenthalben für die jahrzehntelange fruchtbare Zusammenarbeit bedanken, während die späten Mütter ihre Altersteilzeit mit der Kinderaufzucht verbringen. Irgendwie hat Elke Hannack Recht: Geht’s noch?

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