Unsere Gastautorin Petra Tesch sucht einen Job in der Webbranche. Sie ist 54. Zu alt also?
„Alt“ und dynamisch sucht oder: Der Mutterkomplex
Ist es mehr als eine Ahnung? Werde ich wirklich wegen meines Alters abgelehnt? Ich werde es nicht herausfinden. Viel zu genau kennen PersonalrekruterInnen das Antidiskriminierungsgesetz, das – auch im beruflichen Kontext – Benachteiligung aufgrund von Alter verbietet, als dass sie einer „Betroffenen“ Auskunft geben würden. Aber, warum wird so oft im Namen eines „jungen dynamischen Teams“ annonciert? Und warum werden vor allem Menschen mit ein bis zwei Jahren Berufserfahrung gesucht (was Menschen mit dreißig Jahren Berufserfahrung auszuschließen scheint)? Welche Bilder und Einstellungen assoziieren junge HRM (Human Resource Manager = Personalverantwortliche) mit älteren BewerberInnen? Und welche Rolle spielt das Bild, das ich selbst von mir habe? Bei meiner Suche bin ich auf fünf mögliche Ablehnungsgründe und sehr viele Fragen gestoßen.
Um erst gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin nicht alt. Ich bin fast 55, die paar grauen Strähnen sind weggefärbt; ich fühle mich wie max. 48 und gehe auf der Straße locker für 45 durch. Also bestenfalls Mittelalter. Wissenschaftlich gesehen nicht mal das: In der Alternsforschung werden Menschen erst nach ihrem Ausstieg aus der Berufstätigkeit, also mit 65, als alt, genauer gesagt als „junge Alte“ bezeichnet. Ich bin also „Babyalte“ oder „Spätjunge“. Und noch mittendrin in der Arbeitspflicht. Ganze zwölf Jahre lang. Und darauf habe ich auch Bock. Im Prinzip. Wenn da nur nicht diese Ahnung wäre, dass deutlich jüngere HRM mich für zu alt halten. Für irgendwie „jenseits“ und unzumutbar also. Und das, obwohl ich weder „multimorbid“ (mehrfach erkrankt) bin, noch ernsthafte Mobilitätsprobleme habe. Klar, ich spiele viermal in der Woche Tennis, da zwickt und zwackt es schon mal hier und da. Aber das tut es auch bei meinen mittdreißigjährigen Kontrahentinnen mit diversen Problemchen.
(1) Von Frauen, Männern und Vergänglichkeit
Alexandra Grillitsch und Brigitte Jenull von der Uni Klagenfurth schreiben in ihrer Studie „50+ und der Traum vom jugendlichen Aussehen„, dass „Frauen als alt betitelt werden, sobald sie das jugendliche Alter überschritten haben.“ Also ab Mitte 40, sobald sie ihre Reproduktionsfähigkeit verloren haben, die Stirn nicht mehr glatt, das Gesicht nicht mehr strahlend und der Körper nicht mehr perfekt und straff ist. Als „double standard of aging“ beschreiben sie, dass das Alter bei Männern offenbar erst ab Mitte 60 beginnt und durchaus mit positiven Gefühlen und Eigenschaften besetzt sei: „So wird graues Haar bei Männern ab einem gewissen Alter als ästhetischer eingestuft, als dies bei Frauen desselben Alters der Fall wäre.“ Ich gehöre nicht zu den Chers und Madonnas dieser Welt, die sich das Bild ewiger Jugend bewahrt haben. Man sieht mir mein Leben an. Aber schließlich bewerbe ich mich ja auch nicht als Fotomodell oder Popsängerin! Was sollten Webprojekt- und Content Management mit den Krähenfüßen um meine Augen zu tun haben? Fürchten sich deutlich jüngere (weibliche) Personalverantwortlichen davor, ihre eigene Vergänglichkeit in mir zu sehen? Oder wollen männliche junge HRM wirklich nur langbeinige blonde Schönheiten um sich herum? Wohl eher nicht. Hoffentlich nicht. Oder vielleicht ein bisschen? Schließlich lebt ja kaum ein anderer Geschäftsbereich so stark von Bildern wie die Web- und Medienbranche.
(2) Von Kickertischen und Diversity
Was braucht mensch außer der runzelfreien Stirn noch zum „Dazugehören“? Die Interessen und Werte der Bewerberin oder des Bewerbers sollten denen der HRM entsprechen. Vielfalt wird allenfalls bei Nationalitäten und sexueller Orientierung toleriert (obwohl es im BWL-Studium anders gelehrt wird). Oder wie ist es sonst zu verstehen, wenn unter „Was wir Ihnen bieten“ so oft mit Table-Soccer-Wettbewerben (Kickern/ Tischfußball), Teilnahmen an B2Runs (Firmenlaufmeisterschaften) und BBQs (Grillabenden) auf der Dachterrasse geworben wird? Da suchen Gleiche Gleiche. Hätte ein unsportlicher Twen-Bücherwurm mit Höhenangst – selbst wenn er ein superkompetenter Web-Nerd wäre – eine Chance? Was, wenn der Nerd eine Frau wäre? Es wäre vermutlich noch viel schwieriger.
Ich habe neulich in einer Bewerbung geschrieben: „Wenn es für Sie okay ist, dass ich (Table) Tennis (dem) Table-Soccer vorziehe, passe ich vielleicht in Ihr Team.“ … und eine Ablehnung erhalten. Dabei könnte ich durchaus mitreden, wenn es um Backpacking-Urlaube in Asien, Trip-Hop, süße Katzenvideos oder den Schwarz-Weiß-Foto-Hype geht. Wenn mir der Titel irgendeines letzten Albums nicht einfiele – ich würde einfach schweigen. Das passiert auch Jüngeren. Dass ich die Kings of Convenience, aber auch noch Simon & Garfunkel kenne, kann ja wohl kein Ausschlusskriterium sein, oder doch? Bin ich nicht up-to-date genug? Darf ich nicht dazu gehören, weil sich viele der HRM, gerade aus der Web- und Medien-Branche auch im Privaten, auf FB oder Google+ ausschließlich unter Gleichen bewegen und sich schon bis in die Konsumgewohnheiten hinein ähneln („Andere, die dieses Produkt gekauft haben, kauften auch …“).
(3) Von -Sturheit und Erfahrung
Was die Vermischung von Arbeit und Freizeit und insbesondere das Teambuilding angeht, halte ich es übrigens mit Scholli (Mehmet Scholl, ARD-Fußballexperte, mit nunmehr 45 eigentlich auch nicht mehr ganz taufrisch), der einmal gesagt haben soll: „Eine Teambuilding-Maßnahme erhältst du nicht bei einem Ruderausflug, sondern durch Erfolge“. Auch wenn Mehmet da vielleicht nicht ganz auf der Höhe der Zeit war. Oder ist „Rudern“ etwa „in“? Lieber shippert team doch heute in einem Leihfloß mit gekühlten Drinks auf der Spree und grillt Zucchini-Scheiben und Halloumi aus dem Biomarkt. Oder klettert in schwindelerregender Höhe im Wald. Woher ich das weiß? Ich mache all das gelegentlich mit meinem Sohn (Anfang dreißig) und seiner Familie. Es ist lustig. Aber muss ich das auch mit dem Team tun? Da (und auch bei vielem Anderen) habe ich meinen eigenen Kopf! Das war schon immer so. Schon mit dreißig war ich außerhalb der Arbeit gern privat. Und bei der Arbeit lieber ganz Arbeit. Teambuilding fand ich manchmal spaßig, ein gelungenes Projekt oder eine gemeinsam überwundene Schwierigkeit hat team aber allemal mehr zusammengeschweißt, als alle schönen Ausflüge und Spiele.
Das „schon immer“ nehme ich allerdings gleich wieder zurück. Ein schlimmeres Reizwort und Antonym zu „dynamisch“ gibt es wohl kaum. Und ich kann durchaus verstehen, dass ein „Zuviel“ an Erfahrung und stabiler Meinung Wege verstellen und Beziehungen zwischen jüngeren ChefInnen und erfahreneren MitarbeiterInnen verkomplizieren kann: Eine Bekannte von mir, Mittvierzigerin und bis vor kurzem im mittleren Management eines großen Unternehmens, wurde vor ein paar Monaten „wegstrukturiert“. Gleich beim ersten Zusammentreffen mit ihrem neuen, Anfang-dreißigjährigen Chef hatte sie ihm von einer erfolgreichen Methode zur Preisbildung erzählt. Sie sah ihm sein Missfallen an, er war anderer Meinung, wie das zu laufen habe. Sein eigenes junges Team, das er in die Firma mitgebracht hat, arbeitet nun – einige Zeit später – wieder nach der gleichen Methode, hörte sie, nachdem ihr gekündigt worden war. Aber zugeben müssen, dass etwas, was lange gut war, immer noch gut genug ist? Oder zumindest akzeptieren, dass nicht jede Veränderung um der Veränderung willen sein muss? Und wohin mit der ganzen Energie, wenn da scheinbar oder tatsächlich starrsinnige Monolithen sitzen, die nicht so dehnbar sind wie Newbies frisch von der Hochschule? Ist es die Angst vor Auseinandersetzung, vor Blockade oder Stillstand, die sich bei jüngeren HRM breitmacht, wenn sie das Geburtsdatum im Lebenslauf älterer BewerberInnen sehen? Wie ist es mit der Bereitschaft der Älteren bestellt, die Entscheidungen der Jüngeren zu akzeptieren? Sicherlich spielt auch das eine Rolle.
(4) Von Schnecken und Überschall-Flugzeugen
Und wie steht es mit der Leistungsfähigkeit? Den kognitiven Fähigkeiten? Steht ein älterer Mann vorm Fahrkartenautomat und guckt, wo er den Schein reinstecken muss. Seine junge Begleiterin hat den Schlitz schon lange entdeckt… Wer kann schneller tippen, alte oder junge Sekretärinnen? Das sollte einmal in einem Experiment herausgefunden werden: Die Jüngeren waren motorisch schneller, die Älteren konnten besser antizipieren: Sie konnten diesen Vorsprung wettmachen, in dem sie schon vorher wussten, welches Wort als nächstes kommen würde ….
Ich habe mich schon in beiden Rollen erlebt: Als Alte vorm Geldautomat und als „erfahrene“ Sekretärin. Manchmal ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass die „Sekretärinnenexperimente“ nur dazu dienen, die Langsamkeit der Älteren zu rechtfertigen und vom eigentlichen Problem abzulenken. Davon, dass es bergab geht. Auch in meinem Kopf haben sich Werte wie Schnelligkeit in der Auffassungsgabe und geistige Beweglichkeit als höherwertig gegenüber Routine, Übersicht, Multitaskingfähigkeit und Wissen festgesetzt. Meine persönlichen Erfahrungen sollten mich eigentlich eines Besseren belehren. Ich kenne eine 68-Jährige, die mit ihrer Ruhe und inneren Sicherheit noch die meisten Jüngeren im Tennis schlägt. Sie weiß einfach genau, wo sie hinspielen muss. Im Hochleistungsbereich hätte sie freilich keine Chance. Aber können die Jungen den Hochleistungsbereich ein Arbeitsleben lang durchhalten? Bei Jump ’n’ Run-Spielen schlagen meine Enkelinnen mein „Kind“ heute schon um Längen. Was nur beweist, wie relativ und vergänglich Schnelligkeit in der Generationenabfolge ist. Und was machen eigentlich die heute mitteljungen EntscheiderInnen, wenn ihre Kinder einmal an ihnen vorbeirauschen? Sich selbst aussortieren?
(5) Von Müttern und Vätern
Gestern meinte meine Arbeitsvermittlerin, ich wirke irgendwie mütterlich auf sie. Die Schlinge um meinen Hals zog sich zu. Das war die Höchststrafe! WelcheR HRM möchte schon die eigene Mutter in der Firma haben? Beim Agile Project Management? Bei der gemeinsamen Kompetenzbilanzierung? Im veganen Kochkurs beim Teambuilding? Wenn ich mit meinen Eltern arbeiten müsste – no way. In meinem Gedächtnis tauchen endlose Diskussionen, umständliche Erklärungen, Ge- und Verbote und viel Rechthaberei auf. Bewahren wollen, statt neu erschaffen! Gänzlich unkuhl. Auch wenn das Verhältnis der meisten Endzwanziger/Anfang Dreißiger zu ihren vergleichsweise jungen Eltern heute deutlich entspannter ist, als zu den Müttern und Vätern meiner Generation: Das verstehe ich. Es mag schwierig sein, eine zweifache Großmutter zur Kollegin zu haben, wenn frau sich selbst das erste Kind aus Unsicherheit, ob der befristete Job morgen noch da ist, verklemmt. Oder weil mann nicht weiß, ob das Gehalt sicher genug ist, um eine Familie zu gründen und sich auch noch ein paar Wünsche zu erfüllen. Und die Alten haben’s doch schon irgendwie geschafft und müssen nicht den jüngeren noch die Jobs wegnehmen. Oder?
Zu keiner Zeit galt das Sprichwort „JedeR ist seines/ihres Glückes Schmied“ so viel wie heute. Und bei der derzeitigen Konjunktur müsste es doch eigentlich leicht sein, auch mit Mitte 50 wieder in Arbeit zu kommen. Warum also finde ich meinen Webjob nicht? Passe ich da wirklich nicht rein? Welche Bilder – von den anderen und mir selbst – sind eigentlich in meinem Kopf? Rede ich mir vielleicht selbst schon zu oft ein, alt zu sein? Immer häufiger ertappe ich mich dabei, Fehler und kleine Unzulänglichkeiten auf mein Alter zu schieben. Das können die Jüngeren nicht. Die müssen ohne Rechtfertigung funktionieren. Reibungs- und klaglos. Vielleicht mache ich mich also einfach auf den Weg und bewerbe mich weiter. Vielleicht lehrt mich aber auch meine Erfahrung, wann es genug ist.
Es gibt ja noch so viele andere Möglichkeiten außerhalb der Webwelt!
Studie:
Alexandra Grillitsch; Brigitte Jenul: 50+ und der Traum vom jugendlichen Aussehen