Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Weibliche Dachstubenwahrheiten

Der Mediziner und Autor Gerhard Danzer hat ein Buch über Frauen geschrieben

Das Holzhaus ist rot angestrichen und sieht genauso aus wie jenes, das die schwedische Kinderbuchautorin in „Ferien auf Saltkrokan“ beschrieben hat. Hier auf Furusund hat Lindgren, die 2002 starb, viele ihrer Bücher verfasst.

Ihr bekanntestes – „Pippi Langstrumpf“ – zählt mittlerweile zur Weltliteratur und wird von Generationen von Kindern verschlungen. Gerade sind zwei neue Astrid Lindgren-Bücher erschienen: eine Biographie des Dänen Jens Andersen und ein Tagebuch, das Lindgren vor allem während des Krieges ausführlich geschrieben hat.

Mutige Frauen aus verschiedenen Jahrhunderten

Lindgrens Leben, ihr Oevre und ihr Blick auf die Welt finden sich aber noch in einem weiteren Werk, das kürzlich veröffentlicht wurde: „Europa, deine Frauen“ (Springer) von Gerhard Danzer. Der Arzt an der Berliner Charité, Chefarzt der Psychosomatik an den Ruppiner Kliniken im brandenburgischen Neuruppin und Philosoph hat wegweisenden, mutigen Frauen verschiedener Jahrhunderte nachgespürt: Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, Philosophinnen, Pädagoginnen. Da sind Welterklärerinnen wie Johanna Schopenhauer und Émilie du Châtelet, Newton-Schülerin und Geliebte Voltaires, ebenso dabei wie die Dichterinnen George Eliot und Marie von Ebner-Eschenbach, die Malerin Gabriele Münter und Melina Mercouri, die „Mutter Courage Griechenlands“. Die Tänzerin Pina Bausch und Maria Montessori, die die Pädagogik bis heute prägt. Ebenso fehlen auch Frauen wie die Pazifistin Bertha von Suttner und die Sozialistin Rosa Luxemburg nicht.

Insgesamt 24 Frauenporträts, die Danzer nahezu alle nach demselben Prinzip vorstellt: Biographisches, Werkanalyse, Conclusio. Dem Autor („Wer sind wir“, „Eros und Sexus“) gelingt es, auf wenigen Seiten den Frauen sehr nah zu kommen. Mit leichter Hand und enorm viel Wissen zeichnet er die Lebenswege der Frauen, die die Welt auf ihre Weise beeinflusst haben, nach. Er setzt sich mit ihrem Werk auseinander, reflektiert, fragt nach.

Da ist beispielsweise Karen Horney. Die Psychoanalytikerin gilt als eine der ersten Feministinnen unter den AnalytikerInnen. Sie wandte sich strikt gegen die Freud-These des weiblichen „Penisneids“, der Frauen vor allem während der Menstruation reizbar machen soll. Horney hielt Freuds Theorie eher für „männlichen Narzissmus“ und setzte ihm den „Gebärneid“ der Männer entgegen. Auf diese Weise „wirkten Horneys Gedanken auf jene Wissenschaftler anregend, die sich um eine Emanzipation von der orthodoxen Psychoanalyse bemühten“, schreibt Danzer.

Emanzipation auch in früheren Jahrhunderten

Ohnehin geht es Danzer um die emanzipative Kraft, die in den Frauen steckte, um das Aufbrechen stereotyper Geschlechterrollen. Er nennt sein Buch „ein Kompendium“, das „modellhaft sowohl Emanzipationsversuche als auch kulturelle Betragsleistungen“ dieser 24 Frauen beschreibt. Danzer zeigt, dass Frauen auch schon in früheren und nicht erst in den beiden vergangenen Jahrhunderten bewusst emanzipativ gewirkt haben.

Als Auswahlkriterium seiner Protagonistinnen nennt Danzer das „wie auch immer geartete Werk“, das die Frauen hinterlassen haben, „an dem sich ihr Charakter und Lebensstil als Spiegelung, Dopplung oder auch Kontrast ihres Wesens ablesen lässt“. Die Geschichte lehrt, schreibt der Autor, dass Frauen, bevorzugt in den jüngsten Jahrzehnten, „erfolgreich sich und die Kultur“ verändert haben.

Er findet wunderbare Titel für die Kapitel: „Die Dachstubenwahrheiten der Rahel Varnhagen“ beispielsweise. Oder „Der Affe auf dem Fahrrad“ über die ungarische Philosophin Agnes Heller. „Versuch über das Stolpern“ ist der Abriss zur Journalistin und Essayistin Margarete Susman überschrieben.

Das liest sich alles leicht unterhaltsam, Danzer beweist nicht nur große Kenntnis der Kultur-, Kunst- und Literaturgeschichte, sondern auch in Feminismustheorie. Warum aber, fragt sich die Leserin, schreibt ausgerechnet ein Psychosomatiker ein solches Buch?

Danzer selbst liefert die Antwort: „Dieses Buch zielt … darauf ab, ein Schuldgefühl abzutragen, das in den Jahrzehnten meiner bisherigen schriftstellerischen Arbeit entstanden ist.“ Die Frauen, schreibt Danzer weiter, kamen in seinen bisherigen Arbeiten stets zu kurz. Dieses „Defizit“ will er mit „Europa, deine Frauen“ ausgleichen.

Gibt es eine weibliche Kulturgeschichte?

Und er fragt: Gibt es überhaupt eine weibliche Kulturgeschichte, wenigstens eine am Rande? Waren es doch vor allem die Männer, die sich in früheren Jahrhunderten vortaten und die Frauen in die Hinterzimmer verbannten. Danzer verneint, er glaubt, „der gesamtkulturelle Prozess ist kein weiblicher oder männlicher … er ist schlicht ein menschlicher“.

Das zu glauben fällt beim Blick auf die Gesamtheit der Geschichte allerdings schwer. Und wie zum Beweis stolpert die Leserin an manchen Stellen über die männliche Sprache des Autors. Astrid Lindgren zum Beispiel hatte zum Beispiel eher die Rolle „einer Mitspielerin“ statt „einer Aufpasserin“. Sie war kein „Dompteur“ und beim Schlittenfahren ein „quicklebendiger Kumpel“.

 

Gerhard Danzer: Europa, deine Frauen
Beiträge zur weiblichen Kulturgeschichte,
Springer, 2015

Europa, deine Frauen

Europa, deine Frauen

 

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