Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Das Private ist politisch – Feministische Kunst in Moskau

Ich treffe die Kunstwissenschaftlerin Nadja Plungjan im Oktober in Moskau. Auf einem Dinner spricht sie über feministische Kunst und darüber, dass man über Unterwäsche nicht sprechen darf.

Nadja Plungjanist Kunstwissenschaftlerin, Bloggerin und Feministin. Ich treffe sie in Moskau, in dieser lärmenden und im Oktober nassen russischen Metropole. Ich habe mich selbst zu einem der regelmäßig stattfindenden Mittags-Dinner von Frauen aus der Verlags-Kunst-Geschäfts-und Politikszene eingeladen, auf dem sie sprechen wird. Dieses Mal geht es um Kunst.

Plungjan sitzt an der Stirnseite des Tisches und trägt eine starke schwarze Brille, ihr Haar ist burschikos geschnitten, der Kragen des Hemdes durch eine Krawatte gebunden, am Mittelfinger trägt sie einen breiten, goldenen Ring. Er sieht aus, als wäre er ein Versprechen in eine andere Welt. Als Kunstwissenschaftlerin beschäftigt sie sich mit sowjetischer Kunst der 20er und 30er Jahre. Darüber hinaus interessiert sie sich für moderne Kunst, insbesondere für feministische Kunst. Sie ist Mitglied der Moskauer Feministischen Gruppe, in der sich Frauen zusammen gefunden haben, “die in ihren Berufen feministische Ideen und Sichtweisen anwenden”.

Aktuell bereitet sie eine Ausstellung in der Moskauer “Fabrika Hostel&Gallery” vor mit Künstlerinnen, die soziale und politische Situationen aufspüren und in den Mittelpunkt ihrer Geschichten stellen. Wie zum Beispiel die 27 jährige Comic-Zeichnerin und Illustratorin Polina Petroschina, die die Story von Pussy Riot „Gelo Pussy Riot“ gezeichnet hat.

Illustration zu Pussy Riot von Petruschina

Illustration zu Pussy Riot von Polina Petruschina, Auszug aus ihrer Website

Oder die Journalistin Viktoria Lomasko, die sich einen Namen als Chronistin von Gerichtsprozessen gemacht hat. So verfolgte sie 2010 gemeinsam mit Anton Nikolajev den Prozess gegen die Kuratoren Andrej Jerofejew und den ehemaligen Direktor des Sacharow-Museums, Juri Samodurow, die 2007 die Ausstellung „Verbotene Kunst“ im Moskauer Sacharow-Zentrum gezeigt hatten. Diese Ausstellung löste damals einen Eklat aus, weil sie Werke ans Licht der Öffentlichkeit zerrten, die aus ideologischen Gründen aus den Galerien und Museen Russlands verbannt wurden. Den Kuratoren wurde der Prozess gemacht, weil sie nach dem Spruch des Gerichts zu „religiösem Hass“ aufgestachelt hatten. Die daraus entstandene Graphic Novel von Lomasko erschien im September im Berliner Verlag Matthes & Seiz.

Pungjan erzählt, dass sie bei einem Treffen mit Frauen nach ihrem Denken und Fühlen gefragt wurde, sobald sie sich ihnen als Feministin vorgestellt hatte. Daraufhin sprachen sie über ihre persönlichen Erfahrungen. Plungjan bewertet es als problematisch, “dass Frauen in Russland heute, unabhängig von der sozialen Schicht, keine politische Gemeinsamkeit untereinander erkennen”.

Für sie ist die Kunst ist eine Art soziale Utopie. “Es ist ein Bereich, in dem die Entwurfsskizzen der Gesellschaft gezeichnet werden. Wir leben in der postsowjetischen Raum, wo der Platz der Frau in der Kunst nur zweitrangig positioniert ist, so als gäbe es da nichts Besonderes, und offenbar wird es in der Gesellschaft so aufgefasst, als habe eine Frau als Künstlerin weniger zu sagen als ein Mann, als habe sie keine besonderen Fähigkeiten, etwas Bedeutendes, Nennenswertes und politisch Bedeutsames zu sagen. Das ist es, was wir als Erbe vom spätsowjetischen Bewusstsein mitbekommen haben.”

Sie erläutert, dass “unsere eigene Umgebung, auch kleinere, scheinbar unbedeutende Erfahrungen, vielleicht auch der eigene Körper Betätigungsfelder” sind, um etwas auszudrücken und dass darin ein sozialer Sinn liegt. Das Persönliche ist das Politische.

Was bedeutet diese bekannte Haltung und Forderung – Das Private ist  Politisch?

“In unserem Land denkt man, fährt Nadja Plungjan fort, “Politik, das sind Reden auf Tribünen oder das große Geld, welches Veränderungen herbeiführen kann. Doch in Wirklichkeit ist das Politische das, was jeden Tag mit uns passiert, und Kunst kann dies besonders schnell sichtbar machen. Frauen, die kein Recht haben, sich laut zu äußern, können trotzdem im künstlerischen Bereich sehr viel verändern, sofern sie verstehen, worin genau ihre soziale Ausgegrenztheit besteht.”

Was wird unter sozialer Ausgrenzung verstanden?

Wenn ich von sozialer Ausgrenzung spreche, dann meine ich die unterschiedlichen Erfahrungen von Männern und Frauen. Als Mann in Russland zu leben oder als Frau, sind zwei völlig verschiedene Welten. Diese Welten unterscheiden sich insbesondere im sozialen Bereich. Zum Beispiel: Warum muss sich eine Frau verstellen und so tun, als sei sie ein Mann, wenn sie ein Projekt auf die Beine stellen will? Warum muss sie „mit fremden Worten sprechen“?

Und wenn es einen Bereich gibt, den nur sie als Frau mit eigenen Worten ausdrücken kann, was sagt sie dann? – Das ist für mich die spannende Frage. Über diese weibliche Welterfahrung, die ich weder für besser noch für schlechter halte, wird nirgendwo gesprochen. Sie bleibt immer unter uns, unseren Müttern, unseren Großmüttern.

Auf welche Erfahrungen bezieht sich das?

Nun, es geht um solche Fragen wie Abtreibung, Verhütung, Kinderkriegen, auch Hauswirtschaft – eben all diese Dinge, von denen wir glauben, dass sie für Frauen selbstverständlich sind, und die wir nicht einmal selbst für Kultur halten. Und wenn ich hier von „besser“ und „schlechter“ spreche, meine ich damit, dass biologisch gesehen keine Seite besser oder schlechter ist. Doch natürlich ist es schlechter, mit Diskriminierung zu leben als ohne! Nun, die Überlegung, wie genau die Frau sich verändern soll, um „annehmbar“ zu werden, wie sie sich äußern soll oder nicht äußern darf, all diese Überlegungen äußern sich in der Kunst, indem sie sich dem Betrachter in metaphorischer Form unterbreiten. Mit anderen Worten ist feministische Kunst ein Weg zur persönlichen Veränderung und dann die Veränderung innerhalb der Gesellschaft.

War das der Grund, sich mit feministischer Kunst zu beschäftigen?

Als ich begonnen habe, mich als Kuratorin mit feministischer Kunst zu beschäftigen, Ausstellungen zu organisieren und mit den Künstlerinnen über dieses Thema zu sprechen, war dies auch mit einem ziemlich schauerlichen Ereignis verbunden. 2010 ging durch das Internet und durch die Medien der sogenannte Truschewski-Fall. Der 28-jährige Petersburger Installationskünstler Ilja Truschewski hat eine Frau vergewaltigt und darüber so in seinem Blog geschrieben, als sei das eine ganz normale Sache. Er hat das Opfer beschuldigt, dass sie selbst daran schuld sei, weil sie sich betrunken habe und auf ihn zu gegangen sei. Und bei der Erörterung dieses Falls, der absolut krass war – denn der Mann hat ja das Verbrechen selbst zugegeben – stellte sich die künstlerische Gemeinschaft auf seine Seite. (Sonja Margolina schrieb in der NZZ ausführlich darüber.)

Dennoch wurde er neben Jerofejew und Loskutow (Kuratoren von “Verbotene Kunst”) mit dem angesehenen Preis «Moralische Unterstützung» des Moskauer Zentrum für moderne Kunst, Vinzavod, geehrt. Einem Preis, der für die in Konflikt mit dem «Gesetz» geratenen Künstler vor dem Hintergrund der der sich häufenden staatlichen Repressalien ausgelobt wird. Er hat den Preis erhalten als ein Mensch, der politisch verfolgt wird, aber auch wegen Vergewaltigung angeklagt war. Das ist kein Witz! Und die meisten Menschen teilten diese Entscheidung – auch die Frauen: “Ja, sie war selbst schuld. Hat einen kurzen Rock getragen…”

Wie wurde das in der Kunstszene diskutiert?

Die künstlerische Gemeinschaft war gezwungen, sich Fragen zu stellen. Was ist überhaupt der Platz der Frau in der Kunst? Wieso ist es normal, dass ein Künstler Gewalt anwendet und niemand schenkt diesem Umstand Aufmerksamkeit? Wie kann man darauf aufmerksam machen?
Die Künstlergemeinschaft hat sich danach aufgespalten. Ich und meine Kollegin aus der Moskauer Feministischen Gruppe sind damals mit einer feministischen Position aufgetreten. Wahrscheinlich war das der Moment, von dem an Feminismus als Thema massiv diskutiert wurde: in Blogs, in den Massenmedien … wobei sich die Medien nicht sofort geäußert haben, sondern erst jetzt in die Diskussion eingestiegen sind. Aber zumindest in den Blogs wurde damals schon diskutiert. Und wahrscheinlich haben damals die ersten feministischen Aktivitäten begonnen und Künstlerinnen haben begonnen, Arbeiten zu zeigen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.

Der Begriff Feminismus ist ja in der heutigen Zeit nicht besonders “sexy” oder attraktiv.

Das ist richtig. Feminismus wurde zumindest im Kunstbereich für Nonsens gehalten. Man dachte, Feministinnen sind alles Wahnsinnige und Männerhasserinnen. Doch wollten wir erstmalig die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass feministische Kunst eine soziale Orientierung hat und über unseren eigenen Platz in der Gesellschaft spricht. Wir wollten endlich über die aktuellen existierenden Probleme sprechen und diese zeigen. Das war natürlich ein gewaltiges Gegengewicht gegenüber der offiziell anerkannten modernen Kunst, die sich aktuell nennt. Denn obwohl sie sich so nennt, berührt sie keinerlei aktuelle Probleme.

Interessant ist, dass einige Monate nach dieser Sache im Frühjahr, also dann im Herbst 2007, eine große Ausstellung eröffnet wurde, die sich „Zen d’Art“ nannte. [Anm. Wortspiel: Jeanne d’Arc –> Zen d’Art, Mischmasch aus Russisch und Französisch, bedeutet soviel wie „Frauen der Kunst“]. Diese Ausstellung war der weiblichen Kunst in der postsowjetischen Ära gewidmet. Das Wort Feminismus fiel dort überhaupt nicht! Es ging also um weibliche Kunst, aber nicht um feministische Kunst. Die Ausstellung hat die großartige russische Künstlerin und Feministin Natalia Kamenezkaja organisiert, die schon in den 80er Jahren ein Museum weiblicher Kunst gründen wollte. Doch es ist ihr mit Zen d’Art nicht gelungen – obwohl sie Feministin ist und auch in gewisser Weise eine feministische Aussage getroffen hat. Aber sie hat sehr deutlich gezeigt, dass der Platz eines „Künstlers des zweiten Ranges“ ist, auf dem sich die Frau in der Sowjetzeit befunden hat. Ich würde es als die sogenannte dekorative Kunst bezeichnen, wenn das verständlich ist. Das heißt, eine Frau soll gefälligst etwas schaffen, das ihre Umgebung schmückt. Und wenn es doch mal Protest dagegen gibt, dann ist dieser sehr leise und hat allenfalls lokale Reichweite. Der Protest hatte nie das Recht auf eine laute, provozierende Sprache. Denn mit dieser monumentaler Sprache spricht der Mann. Das haben wir durch diese Ausstellung gelernt.

Was haben diese beiden Ereignisse bewirkt?

Wir jungen Moskauer Feministinnen sind also auf diese Ausstellung gegangen: Künstlerinnen, Frauen, die sich mit sozialen Analysen beschäftigen, Psychologinnen, Historikerinnen … und haben miteinander darüber gesprochen. Und diese beiden Anlässe waren an sich sehr widersprüchlich: der Fall Truschewski und die Ausstellung Zen d’Art. Je weiter sich die Diskussionen sich entwickelten, desto mehr verstanden wir … all die  Aggressionen gegen Frauen in der Kunst, die sich nach diesen Ereignissen gezeigt haben … da haben wir verstanden, dass in Russland generell keine sozial motivierten Äußerungen in der Kunst gewünscht sind.

Und feministische Kunst füllt genau diese Nische! Sie spricht über soziale Ausgrenzung ingesamt. Genau damit beschäftigt sie sich. In diesem Sinn unterscheidet sie sich sehr deutlich von sämtlicher sonstiger moderner Kunst, die momentan existiert, denn sie stellt das Problem der sozialen Ausgrenzung als unser eigenes Problem dar.

Können Frauen einfach so über ihre ureigenen Probleme reden, und das auch noch öffentlich?

Das Erbe, das wir von der Sowjetzeit mitbekommen haben, ist: dass es einem peinlich ist, über die eigenen Probleme zu sprechen. Überhaupt schon dieses Wort: Problem! In Wirklichkeit ist unser ganzes Leben in irgendeiner Form ein Problem. Doch ist ein „Problem“ etwas sehr Unanständiges! Anständig hingegen ist, wenn bei uns alles in Ordnung ist. [lacht] Das ist der zentrale russische Diskurs. Das ist es, was wir im Fernsehen und auf Ausstellungen sehen und in der Presse lesen können.

Wenn wir in Russland beginnen, vor einem Publikum über irgendwelche realen sozialen Probleme zu reden mit der Absicht, dem Thema eine Bedeutung für den Diskurs zu geben, dann wird sofort gesagt, dass es unsere Privatangelegenheit ist. Es sind persönliche Probleme, über die nicht gesprochen wird. So war das auch im Fall der Vergewaltigung. Die Vergewaltigung sei die Privatangelegenheit der jungen Frau und es sei nicht normal, ein solches Thema mit einem großen Publikum auszudiskutieren. Das hat natürlich einen direkten Bezug zum feministischen Diskurs. Feministische Kunst kann heutzutage alles mögliche sein. Viele Künstlerinnen arbeiten mit Körperlichkeit. Wir nennen dies Entfremdung, Entfremdung der Menschen von ihrem eigenen Leben, das ansonsten auf einem durchschnittlichen, alltäglichen Niveau seinen Gang geht.

Vor kurzem war ich im Journal „Afischa“ mit meiner Kollegin Vera Akulowa und mit Irina Kosterina und wir haben dort über Feminismus gesprochen und die Journalistin hat uns angesehen als seien wir totale Dummchen. Sie hat gefragt: „Stimmt es, dass Sie sich mit BH-Problemen beschäftigen? Sie haben solche Probleme mit Ihren BHs, wie seltsam, ich nicht, bei mir ist alles normal.“ Sie hat versucht, den sozialen Kampf zu verbinden mit dem Einwand, dass ein BH kein Gegenständ der öffentlichen Diskussion ist. Und damit wollte sie uns auf die Schippe nehmen, das ist doch kurios, nicht wahr?

Über Unterwäsche darf man nicht reden, so ist das eben.

Der Mittagstisch ist aufgehoben.

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