Von der Kunst des Webens und Strickens mit einem interaktiven Faden oder wie Designforschung hilft, den Alltag für Menschen mit Beeinträchtigungen zu erleichtern
Intelligentes Design reagiert auf Probleme im Alltag
Ein Faden ist ein Faden. Denke ich. Er kann rot, grün, gelb oder blau sein – aus Baumwolle, Seide, Wolle oder Polyester. Aus schon zwei Fäden lassen sich Tuche, Tapeten oder Teppiche weben, in dem Kettfaden und Schussfaden rechtwinklig oder diagonal verkreuzt werden. Der Faden kann auch gewirkt oder gestrickt werden. Es ist eines der ältesten und kunstfertigsten Handwerke der Menschheit. Es ist vorwiegend ein Frauenhandwerk.
In den Stoff werden Geschichten, Träume, Landschaften, Dramen, Botschaften gewebt, gewirkt oder gestickt. Die Wandteppiche in Schlössern oder Museen – wie beispielsweise in der Ermitage in St. Petersburg „Die Hochzeit des Konstantin“ nach Entwürfen von Rubens, erzählen davon. Sie sind lebendig wie ein gemaltes Bild oder eine in Marmor gehauene Skulptur. In jeder Epoche nehmen sich Künstlerinnen und Künstler Nadel und Faden an, wie Gunta Stölzl aus der Bauhaus-Ära oder die große, resolute Dame Rosemarie Trockel mit ihren subversiven Wollbildern aus den 80er Jahren.
Interaktive Textilien
Doch dabei bleibt es nicht. Der Faden kann auch anders,
wie Gesche Joost, Professorin und Chefin des Design Research Lab der Universität der Künste und Mitstreiterin im Steinbrückschen Kompetenzteam, eindrucksvoll auf der diesjährigen Typo (International Design Talks) im Haus der Kulturen der Welt zu berichten wusste. Ihr Arbeits- und Forschungscredo ist, Design vernetzt und zukunftstauglich einzusetzen.
Sie arbeiten interdisziplinär und problemorientiert. Problemorientiert meint, dass Probleme identifiziert werden, um für diese gemeinsam mit den betreffenden Gruppen Lösungen zu finden und neue Produkte zu kreieren.
Eine Strickjacke für den Notfall
So lautete eine der Fragen, wie man Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, mit einem Notruf ausstatten kann, damit sie nicht wie heute mit einem großen roten Knopf in der Hand den Tag verbringen müssen. Die Idee: Sie bekommen eine Strickjacke. Diese „Notrufstrickjacke“ besteht nicht nur aus Wollfäden, sondern auch aus interaktiven Fäden und hat in der Innentasche ein Fach für das Handy. Der Faden ist so verwebt, dass die Patienten bei Bedarf an der Jacke fest ziehen, bzw. den Ärmel mit der Hand knüllen müssen. Die Signale werden auf Grund des Drucks über Bluetooth übertragen und so der Notruf ausgesendet. Diese Jacke wurde im Dialog mit den Patienten entwickelt. Diese finden sie nicht nur praktisch, sondern sie erlöst sie auch von dem Stigma, sich mit dem roten Knopf in der Hand als krank und ständig gefährdet zeigen zu müssen.
Ein intelligenter Handschuh für taub-blinde Menschen
Wie können Menschen, die blind und taub sind, miteinander ins Gespräch kommen bzw. am gesellschaftlichen Leben teilnehmen? Bislang hatte ich mir diese Frage noch nie gestellt – auch für das Team des Labs war diese Vorstellung fremd, wie Joost berichtete. Also haben sie sich mir dem Hör- und Blindenverband zusammengeschlossen, um erst einmal zu verstehen, was es bedeutet, blind und taub durch das Leben zu gehen. Die betroffenen Menschen reden über ein Lobo-Alphabet auf dem Handteller miteinander, das durch Drücken und Streichen mit den Fingern des Anderen Buchstaben in Worte formt. Das setzt voraus, dass immer ein Anderer dabei sein muss, der mit ihnen in dieser Weise spricht. Darüber hinaus können sie sich nicht verständigen.
Die Idee: Ein Handschuh, bei dem das Textile wieder die Grundlage bildet. Der Handschuh wird mit Sensoren ausgestattet, die wiederum Signale aussenden und mit dem Handy verbunden sind. So lassen sich Nachrichten aus der einen Welt in die andere Welt übertragen und in die jeweils „richtige“ Sprache übersetzen. Das erschließt nicht nur Möglichkeiten unabhängiger zu sein, sondern auch das Kommunizieren via E-Mail oder SMS. Was für eine Bereicherung!
Derzeit wird daran gearbeitet, wie die Sensoren eleganter in dem Handschuh selbst verarbeitet und die Produktion organisiert werden kann, damit der Handschuh nicht 1 Tsd. Euro kosten muss.
Hilfen für Demenz-Kranke
Ein letztes Beispiel für die großartige Arbeit um das Ringen für mehr Hilfe und Unabhängigkeit durch technische Entwicklungen: Wir alle wissen, dass die Krankheit Demenz irgendwann in jeder Familie auftreten und auf Grund der steigenden Lebenserwartung und demografischen Entwicklung eher noch zunehmen wird. Eine Möglichkeit sich dagegen zu stemmen ist, dass Unausweichliche so lange wie möglich hinauszuzögern. Das verlangt nach Mittel und Methoden, so lange wie möglich selbständig zu bleiben. Also, sich daran erinnern zu können, ob die Zähne geputzt, das Frühstück gegessen oder der Rock angezogen ist.
Um zu erkennen, worauf das Hirn noch am ehesten reagiert, wie Abläufe strukturiert sind, hat das Team lange Zeit mit Demenz-Erkrankten einer Wohngemeinschaft, ihren Angehörigen, Pflegern und Ärzten verbracht. Und aus diesen Erkenntnissen Ideen entwickelt: Bildtelephonie oder interaktive Checklisten auf dem Computer-Tablet sind zwei der Vorschläge, die daraus hervorgegangen sind. Sie machen es möglich, dass die betroffenen Menschen erkennen, mit wem sie es zu tun haben und in welcher Zeit sie sich im Tag befinden.
So ist es mit den Fäden, die das Leben webt.
Mehr Informationen: www.drlab.org
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