Eine Antwort auf Karins Abgesang auf den Prenzlauer Berg.
Warum ich im Prenzlauer Berg bleibe
Neulich war es mal wieder soweit. Neulich bediente Prenzlauer Berg mal wieder alle Vorurteile, so wie ich sie seit Jahren gewohnt bin.
Rossmann auf der Schönhauser Allee. Vor mir an der Kasse legt ein junger Mann einen Wischmob und Staubtücher aufs Laufband. Er trägt ein blau-weiß kariertes Hemd und einen blonden Siebentagebart. „Sechs fuffzig“, sagt die Kassiererin. Der junge Mann kramt im Portemonnaie, zählt Münzen in seine Hand und fragt: „Isch des weid bis zum nächschte Biomarkt? I han ghoscht, desch isch ned weid von hia.“ Er lächelt. Freundlich und der Kassiererin mitten ins Gesicht. Die ist an beiden Armen tätowiert und auf dem Kopf wild gefärbt. Sie schaut ihn an – und schweigt. „I han ghoscht, da isch glei noch em Biokaffee“, versucht er es weiter. Die Kassiererin schiebt die Kasse vor ihrem Bauch zu und grinst. Sie sagt: „Hier is Prenzlauer Berg. Hier is übaall Bio. Vaschtehste?“
Noch ist nicht alles Bionade-Biedermeier
Ja, ich gebe es zu: Genau dafür liebe ich Prenzlauer Berg. Solche Szenen sagen mir: Es ist noch nicht alles verloren, hier geht noch was, hier ist noch nicht alles gleichmäßig bürgerlich, nicht alles Bionade-Biedermeier.
Ich weiß, dass andere das anders sehen. Dass ihnen dieses rotzige Prenzlauer-Berg-Ureinwohner-Gehabe zu stark abhanden gekommen ist und sie nur noch dieses schwäbisch Arrivierte entdecken können. Zu wenig morbider Charme aus alten Zeiten und zu viel neuer uniformer Schick. Kein ostdeutscher Rock’n’Roll mehr, sondern nur noch Langeweile aus Ba-Wü. Und ja, es stimmt schon, mit den gutverdienenden, kinderfreundlichen, gut riechenden und kommunikationsfreudigen Menschen, die seit etwa fünfzehn Jahren in Kolonnen hierher ziehen, als gäbe es hier etwas umsonst, hat sich nahezu alles verändert. Aus dem einst so unberechenbaren, verhurten Bezirk ist eine Art Spießer-Idylle in Dorfformat geworden. Mit Häusern, auf deren Dächern jetzt gewohnt statt gefeiert wird. Mit jungen Eltern, die aus Durchfahrtsstraßen Tempo-30-Zonen machen wollen. Mit veganen Restaurants und Sushi-Ketten, mit beheizten Buddelkästen und chinesischen Kitas, mit unzähligen Hebammenpraxen und überfüllten Kinderpsychologen.
Vom politischen zum privaten Bezirk: Aber ich liebe ihn
Der Bezirk, der mal außerordentlich politisch war, ist ordentlich privat geworden. Mit Edeleltern und ihren Bestimmerkindern, für die die gut ausgebildeten Frauen ihre guten Jobs aufgeben, weil das „Privatprojekt“ hunderfünfzig Prozent gelingen soll. In „Pregnancy Hill“ geht es um eine hemmungslose Selbstgentrifizierung.
Ja, das ist alles wahr. Und es ist nicht schön. Trotzdem liebe ich diesen Bezirk. Ich lebe hier gern, ich wohne hier nicht nur. Und das schon mein Leben lang. Ich wurde hier geboren, habe hier den ersten Teil meiner Kindheit verbracht (den zweiten in Friedrichshain, in einer Ecke, die inzwischen ähnlich gehypt wird wie Prenzlauer Berg). Als ich volljährig wurde, zog ich wieder zurück, erst in eine schwarzbesetzte Wohnung, später in eine ehrlich ergatterte. Hier wurde meine Tochter groß, hier zog ich unzählige Male um. In zwanzig Jahren einmal rund um den Helmholtzplatz.
Ich erlebte, wie aus grauen Fassaden bunte wurden, wie Balkone angebaut und Dachgeschosse draufgesattelt wurden. Ich beobachtete, wie sich die Bevölkerung schubweise austauschte und ausgetauscht wurde. Ich sah die Opfer der Gentrifizierung – und wurde selber eines. Jedem Umzug waren Mietsteigerungen in schwindelerregender Höhe zuvor gekommen, für eine alleinerziehende Freiberuflerin niemals aufzubringen. Ich begann Rückübertragungen, Neueigentümer, Investoren und Architekten unerträglich zu finden. Wenn Bauherren in die Wohnung drangen, manches Mal ohne Ankündigung, und erklärten, da hinten, da wo gerade das Kinderbett steht, müsse in den nächsten Tagen ein Loch gebohrt werden, für die Steigleitung von oben. Wenn monatelang grüne Baugaze die Zimmer verdunkelten, Putz von den Deckeln rieselte und Wasser von den Wänden. Wenn gebohrt, gehämmert, gefräst und geflext wurde, den ganzen Tag, dann habe ich all das auch gehasst. Aber daran gedacht, „meinen“ Kiez zu verlassen, habe ich nie. Weil er mein Zuhause ist, meine Heimat, wenn es so etwas überhaupt gibt. Weil es hier immer noch Menschen gibt, die anders sind. So wie die tätowierte Rossmann-Kassiererin. So wie die Frau, die in ihrer Wohnung ein Ganzkörperenthaarungsstudio betreibt. So wie die Männer-WG, die fast jeden Abend zusammen kocht. So wie der Musiker, der aussieht, als sei er ein Prinz, und der mit Gitarre und Saxophon durch die Straßen zieht. Und so wie der Mann mit Tourette-Syndrom, der am Tage mit seiner Kaffeetasse im Hof sitzt und immer dann, wenn er auf die Straße tritt, flucht, was das Zeug hält. Die Leute weichen ihm aus, Kinder haben Angst vor ihm, aber er tut niemandem etwas.
Immer wieder Umzug
Im Sommer bin ich wieder umgezogen, halb freiwillig, halb gentrifiziert. Nach zwei Jahren harter Baumaßnahmen, habe ich das Handtuch geworfen. Raus aus dem Haus, in dem meine Tochter und ich wunderbare Jahre hatten, in dem die Hausgemeinschaft versucht, den Eigentümern und ihren Vorstellungen von schöner Wohnen zu widerstehen. Ich hätte mit widerstanden, bis zum Schluss. Wäre da nicht das Angebot gewesen, das ich nicht ablehnen konnte. Nur einige Meter vom alten Haus entfernt, mit einem Vermieter, den man als sozial bezeichnen darf, und mit Mitbewohnern, die auch schon lange da sind.
Ich hatte Glück, ich weiß es zu schätzen. Und trotzdem: Prenzlauer Berg ist auch schön in all seiner Bürgerlichkeit und Beschaulichkeit, mit seinen Angeboten und Zuverlässigkeiten. Egal, wo man auf die Straße tritt, ob man nach links oder nach rechts geht, es ist alles da, was den Alltag leichter macht: Kinos, Restaurants, Cafés, Bioläden, türkische Gemüsehändler, Spätkioske, Bäcker.
Eine Zeitlang bin ich ich mehrmals in der Woche in eine andere Ecke der Stadt gependelt. Ich habe mich noch nie so unlebendig gefühlt wie in dem Kiez, der mir als das „neue hippe“ Berlin schmackhaft gemacht werden sollte. Kurz nach sechs sind dort die Straßen leergefegt, nur ein paar alte Damen mit Hunden sieht man um um die Ecke huschen. Die nächste Bar einen Fußmarsch weit weg, die nächste Urberliner Kneipe auch. Dafür eine deutsche Bürgerstube und Backsteinbauten, an deren Fassaden Kruzifixe hängen.
Nein. Prenzlauer Berg ist mir tausend Mal lieber als jeder andere Bezirk von Berlin.
Prenzlauer Berg ist immer wieder für eine Überraschungen gut
Neulich an einem Sonntag vormittag in der Raumerstraße. Die Sonne scheint, es ist warm, die Leute sitzen draußen und frühstücken. Auch im „Schrippenschuster“. Am Straßenrand parken Autos, Stoßstange an Stoßstange. Die Politessen laufen vorbei, bleiben immer mal an einem Wagen stehen und suchen nach einem Parkschein oder einer Parkvignette. Finden sie nichts von beidem, tippen sie eine Weile in das elektronische Gerät in ihren Händen, drucken einen Strafzettel aus und schieben ihn hinter den Scheibenwischer. Parkraumbewirtschaftung nennt sich das System, mit dem den AnwohnerInnen ein bisschen mehr Freizügigkeit beim Parken eingeräumt werden soll. Die Politessen sind sehr streng. Aber das nutzt wenig, Parkplätze sind in Prenzlauer Berg so selten wie Atheisten in Rom.
An diesem wunderbaren Sonntag vormittag bleibt eine Politesse an einem großen, sauberen BMW stehen. Und tippt und tippt und tippt in ihren kleinen Strafzettelausspucker. Eine Frau im Schrippenschuster sieht das und springt auf. „Desch gönne Se net macha. I steh hiar a Muggaseckele.“ „Trotzdem müssn Se bezahln.“ „I han det net gwusst, desch ma do zahln muss fürs Parken. I bin net von do.“ „Wolln Se ma für blöd vakoofn? Nich von hier! Sie ham dochn Berliner Nummerschild.“ Sagts und klatscht den Strafzettel an die Frontscheibe. Es scheint, mit besonderem Genuss.
>> Zum Beitrag von Karin, die vom Prenzlauer Berg nach Moabit gezogen ist.