„Wer nichts wagt, trinkt keinen Champagner“, sagt Liona aus Tiflis. Über eine Frau, die ungewöhnliche Geschäftsideen verfolgt
Wie die Christbaumkugel an den georgischen Weihnachtsbaum kam
An den Bäumen schaukeln farbige Kugeln aus Glas im Wind.
Es ist Weihnachten. Die Bäume werden in den Wohnungen geschmückt. Mit Kugeln, Figuren, Lametta, Äpfeln und Nüssen. Die Kerzen werdend aufgesteckt. Es leuchtet.
Liona ist 37 Jahre alt. Vieles an ihr ist hell: Haare, Augen, ebenso ihr Lachen und ihr offenes Gesicht. Wir treffen uns in Tiflis, in einem Café am großen Platz.
Ihre Schwester arbeitet um die Ecke in einem Copy- und Foto-Shop. Zusammen sind sie drei Schwestern. Eine von ihnen hat Ökonomie studiert und war lange arbeitslos. Heute arbeitet sie als Buchhalterin. Das Gehalt ihrer Wochenarbeit reicht für das Leben nicht aus, also führt sie noch die Bücher einer anderen Firma am Wochenende. Die Kinder sind selbständig; nur mit dem Mann ist es schwierig. Er war im Krieg gegen Abrasien. Seit er zurück ist, ist er aggressiv und hat mit dem Trinken angefangen, weil er keine Arbeit gefunden hat. „Die Männer können nicht ihren Platz finden“, beschreibt Liona die Situation und blickt aus dem Fenster auf die tanzenden Kugeln. Auch ihre andere Schwester kämpft um den Unterhalt für ihre drei Kinder. Das Baugeschäft ihres Mannes ist pleite gegangen, nachdem die Russen wirtschaftlichen Sanktionen über die Georgier verhängt haben.
Wohin mit dem eigenen Leben?
Aufgewachsen sind sie in einem kleinen Ort namens Bolnesi. Sie wohnten in einem Haus und in einer Straße, die von den Deutschen gebaut wurde. Lionas Leidenschaft ist die Musik. Mit 14 Jahren geht sie nach Rustamie, um dort an der technischen Fachschule mit der Ausrichtung Musik „Kunst und Sprache“ zu lernen. Parallel dazu besucht sie 7 Jahre die Musikschule mit dem Hauptfach Klavier. Danach wechselt sie an die Hochschule. Sie ist gut, besteht alle Prüfungen – aber sie ist nicht gut genug, um ein Stipendium für Begabte zu erhalten. Ihre Eltern können das Salär für das Studium nicht aufbringen, also beginnt sie zu unterrichten. Sie arbeitet als Lehrerin in einer Musikschule. 25 Kinder wollen von ihr Klavierspielen beigebracht bekommen, das bedeutet für sie, 50 Stunden in der Woche zu arbeiten. Der Lohn pro Stunde beträgt 20 Tetri. Das sind nach dem Kurs von heute 0,086 Euro. „Ich fühlte mich wie eine Maschine, konnte mir nichts leisten, konnte nicht ausgehen, nichts.“ Ausgebrannt sei sie gewesen. Rückblickend waren es ihre schlimmsten Jahre, denn die damalige Realität bedeutete auch: kein Strom, keine Heizung und für Lebensmittel wurden Coupons ausgegeben.
Freundinnen von ihr gehen nach Deutschland. Sie findet einen Kontakt in Bremen. Es ist eine Familie, die eine Haushaltshilfe braucht. Kurzentschlossen macht sie sich auf den Weg. Mit einem Ticket bis nach Frankfurt und weiter nach Bremen. Für mehr reicht das Geld nicht. Die Sprache spricht sie nicht. Auf dem Bahnhof angekommen, wundert sie sich, dass der Zug tatsächlich 14:04 Uhr abfährt. In Bremen wird sie von der Gastfamilie gut aufgenommen, sie lernt deutsch, bekommt eine Arbeit am Band bei Mercedes im Audit-Bereich. „Mir ist es am Anfang sehr peinlich gewesen, so viel Geld für meine Arbeit zu bekommen.“ Daneben gibt sie weiter Klavierunterricht. Liona lebt sich schnell ein, Heimweh hat sie in den ersten Jahren nicht. Alle vier Monate fährt sie nach Hause. Ihre Großmutter versteht den Schritt der Enkelin nur schwer, hat doch ihr Mann im Krieg gegen die Deutschen gekämpft.
Irgendwann kommt das Heimweh doch
Es ist nur eine Frage der Zeit, dass sie einen deutschen Mann kennenlernt. Sie liebt ihn nicht. Sie spürt, dass sie es sich nicht wirklich vorstellen kann, eine Familie in Deutschland zu gründen. Sie sehnt sich zurück nach ihrer Familie, den Festen und der Musik in Georgien.
Doch womit dort den Lebensunterhalt verdienen? Sie hat inzwischen eine gute Summe Geld gespart. Davon kauft sie sich eine kleine Wohnung in Tiflis.
Wann sie auf die Idee kommt, mit Christbaumkugeln zu handeln, weiß sie nicht mehr. Vielleicht lag es daran, dass viele in Deutschland arbeitende Georgier diese dünnwandigen Kugeln aus Lauscha (oder aus China) nach Hause geschickt haben, weil es dort keine oder nur schwer welche gab oder aber diese sündhaft teuer gewesen sind.
„Nun hat jeder Georgier eine Christbaumkugel von deutscher Qualität am Baum“
Liona fährt nach Hamburg und ordert einen 40-Tonnen-Container mit Christbaumkugeln. Das sind letztendlich mehr als es überhaupt Einwohnerinnen und Einwohner in Georgien gibt. Aber sie glaubt an ihr Geschäft.
Zurück in Georgien braucht es dann insgesamt sechs Jahre, bis alle Kugeln verkauft sind. „Zum Glück ist des Tradition, sich jedes Jahr mindestens eine neue Kugel zu kaufen“ sagt sie lächelnd und zeigt auf den großen, mit roten Kugeln geschmückten Baum am Eingang des Cafés.
Bevor der Weihnachtsabend beginnt, frage ich sie, womit sie heute ihren Lebensunterhalt verdient.
„Ich vermiete meinen Bagger“, antwortet sie lachend. „Stunden-und tageweise an Bauunternehmer, deren Zahlungsmoral sehr zu wünschen übrig lässt“.
Frohe Weihnachten!