Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Wenn sie Glück hat, schlägt er nicht zu

Frauen in Albanien führen ein Leben zwischen diskriminierender Tradition und luxusverheißender Moderne

Straßenszene in Tirana

Straßenszene in Tirana

Edit Pulaj zeigt mit dem Zeigefinger in die Luft über ihrem Kopf. „Hier oben drüber wohne ich“, sagt sie. Edit Pulaj, 41, sitzt im Vorgarten eines Cafés im Zentrum von Tirana, der Hauptstadt Albaniens. Die junge Frau trinkt einen Tee und raucht. Hinter ihr in dem dunklen Raum klappert der Barmann mit Gläsern, Jazzmusik plätschert vor sich hin. Draußen rauscht auf einer Seite der dichte Autoverkehr vorbei, auf der anderen wandert der Blick über blaue und gelbe Häuserfassaden.

Künstlerin Edith Pulaj

Edit Pulaj, Künstlerin

Edit Pulaj ist Künstlerin und so etwas wie die Vertreterin einer neuen jungen, aufstrebenden Generation des kleinen Balkanstaates. Albanien ist eines der ärmsten Länder Europas, seit gut einem Jahr ist es offizieller Beitrittskandidat der Europäischen Union. Junge Menschen wie Edit Pulaj versprechen sich viel davon, wenn Albanien „endlich dazu gehört“. Dann haben sie vielleicht auch bald den Euro und können reisen, besser wohnen, besser leben.

Edit Pulaj wollte nicht warten, dass das irgendwann passiert. Und hat das für sich selbst in die Hand genommen. Wenige Jahre nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes unter Diktator Enver Hoxha ging sie nach London, um Kunst zu studieren. Sie hatte bereits in Tirana an der Kunstakademie einen Abschluss gemacht, hatte Einzel- und Gruppenausstellungen und sich einen Namen in ihrem Land gemacht.

Tiranas Kunstszene ist jung und aufmüpfig

Pulaj gehört zu jenen, die die albanische Kunst prägen. Albanien hat rund drei Millionen Einwohner, etwa ein Drittel von ihnen lebt in Tirana. Die Bevölkerung ist überdurchschnittlich jung, das Land hat die höchste Geburtenrate Europas. Auch die Kunstszene in Tirana ist jung, hipp, unkonventionell. Für Maler, Bildhauer und Musiker ist Tirana so etwas wie das Eldorado für Improvisationen. In Tirana scheint gerade alles möglich zu sein. Künstlerinnen und Künstler eignen sich heruntergekommene leerstehende Gebäude an und veranstalten dort Vernissagen. Fotos, Malerei, Installationen werden auf einstürzenden Treppen aufgebaut, an verrottene Wände geheftet, in Fensterrahmen ohne Glas gepinnt. Im Hof der Häuser wird dann Wein ausgeschenkt, ein DJ legt auf, Kerzen weisen den Weg durch die Ruinen, damit man nicht abstürzt. Für den Moment der Kunstaktion hält dieser morbide Charme alles bereit. Zum Leben taugt er nicht.

Ein Leben ohne Ehemann undenkbar

Ohnehin sieht das Leben vieler anderer Frauen komplett anders aus. Sie haben nur eines im Sinn: verheißungsvoll heiraten. Heiraten, sagt eine Deutsche, die in Tirana lebt, ist hier so etwas wie ein Hobby. Jedes zweite Geschäft in Albaniens Hauptstadt ist ein Hochzeitsausstatter. Jeder dritte Laden ein Schuhgeschäft. Darin Highheels, pinkfarbene Plateauschuhe, goldene Riemchensandalen. Selbst auf dem agrarisch geprägten Land sind die Geschäfte, in denen sich mondäne Kleider mit meterlangen Schleiern dicht an dicht reihen, jene mit den größten Schaufenstern.

Eine Leben ohne Ehemann ist für die meisten albanischen Frauen undenkbar. Zwar ist die Zeit der arrangierten Ehen seit dem Ende des Balkankrieges vorbei. Nur auf dem Land suchen noch Heiratsvermittler oder Väter die Ehepartner ihrer Kinder aus. Dem Mädchen werden Vorschläge gemacht, heute kann es den Kandidaten aber ablehnen.

Hochzeitssaal

Hochzeitssaal in Tirana, Albanien

Das Hochzeitsfest dauert etwa eine Woche lang und wird ausführlich vorbereitet. Die Braut sucht mit ihren Freundinnen und weiblichen Verwandten ausgiebig nach dem passenden Kleid. Die Geschäfte der Hochzeitausstatter sind selten leer. Für das Fest gibt es spezielle Hochzeitssäle, in denen mühelos bis zu hundert Personen feiern können. Die Räume sind für den westeuropäischen Geschmack eher kitschig hergerichtet: kleine Tribüne in der Mitte des Raumes für das Brautpaar, darum ein großes Plüschherz. Die vorherrschenden Farben im Saal: rosa und hellblau. Vor der eigentlichen Hochzeit feiern die Braut und ihre Freundinnen ein Brautfest, zu dem keine Männer zugelassen sind – eine Art Abschiedsfest vom Leben ohne Mann. Sind Brautfest und Hochzeitsfeier vorbei, hängt die Frau das Hochzeitskleid in den Schrank und holt wieder die Jeans heraus. Die jungen albanischen Frauen leben im Zwiespalt zwischen Moderne und Tradition. Sie verkörpern den Winderspruch, in dem sich das Land befindet, es macht einen Spagat zwischen althergebrachten Normen und dem Streben nach Anerkennung im hochentwickelten Westeuropa.

Patriarchale Verhältnisse herrschen vor: Leben nach dem „Kanun“

Wenn die Braut Glück hat mit ihrem Mann und seiner Familie, führt sie ein ruhiges Leben, mit Kindern, einem kleinen Haus und einem Auto und vielleicht mit einem Beruf. Ist das nicht so, kann es sein, dass ihr Mann sie schlägt, sie erniedrigt und demütigt. Gewalt gegen Frauen ist in Albanien weit verbreitet. Nach wie vor wird sie in großen Teilen der Gesellschaft toleriert. Begründet wird das mit der „Tradition“, die im „Kanun“, eine Art ungeschriebenes Gesetz, das den Alltag reglementiert, festgelegt ist: Danach ist der Mann das Oberhaupt der Familie, er kann über seine Frau bestimmen. Bis zum Zweiten Weltkrieg prägte der Kanun die gesamte Kultur im Land. Während der kommunistischen Hoxha-Zeit war er verboten, nach dem Zusammenbruch des Systems lebte er in vielen Teilen des Landes wieder auf. Das strenge Leben nach dem Kanun kann zur Blutrache führen.

Junge Frauen auf der Straße

Junge Frauen auf der Straße

Bislang waren davon nur Männer betroffen. Mittlerweile gilt das nicht mehr, und es kann schon mal zum Mord an einer Frau kommen. Das Leben nach dem Kanun ist eine der rückständigsten Seiten Albaniens.

Das alles ist im hippen Café in Tirana weit weg. Edit Pulaj will heute noch ins Kino gehen. In die Filmakademie. Dort läuft jeden zweiten Abend ein Art House Film, ein Produkt aus der westlichen Welt.

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