Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

5 Postkarten aus Andalusien

Es wird geschraubt, geputzt und geschmückt. Eine Reise in der Karwoche im Süden Spaniens

Tarifa

Blick von Tarifa nach Marokko

Blick von Tarifa nach Marokko

Das erste Mal von diesem kleinen Spalt zwischen den beiden Kontinenten Europa und Afrika höre ich in der Grundschule. Herr Gerhardt, unser Lehrer für Geografie, fährt mit seinem langen Stab die Stelle auf der Landkarte auf und ab. „Dort werdet ihr nie hinkommen“, sagt er und streicht sich über seinen akkurat zugeknöpften grauen Kittel aus Dederon, auf dem sich Staub von Tafelkreide auf den Taschen abgesetzt hat. „Taaarieeefa“ ruft er leise vor sich hin mit leicht geschlossenen Augen.

Während er langsam auf dem Podest auf und ab geht, erzählt er uns die Geschichte, wie der Engländer Winston Churchill wilde Berberaffen auf den Felsen namens Gibraltar bringen lässt, um so die britische Vorherrschaft zu manifestieren. „Mit Affen?“, frage ich ungläubig nach. Denn bislang kenne ich diese hopsenden Tiere nur aus dem  Dresdner Zoo-Gehege. „Ja“, antwortet er und doziert etwas steif: „Einer Legende nach verlieren die Briten die Hoheit über den hoch aufragenden Felsen an Spaniens Südzipfel, sobald der letzte der dort lebenden, berühmten Affen verschwindet.“ Wir schweigen. Obwohl mir die Antwort noch immer nicht schlüssig erscheint, frage ich nicht weiter.

Heute bin ich in Tarifa und stehe an diesem südlichsten Zipfel Europas. Ich frage mich, ob Herr Gerhardt nach der Wende hier auch gestanden hat oder ob es für ihn schon zu spät gewesen ist.

Auf der Straße trinken Frauen hinter einem Windschutz aus Plaste ihren Kaffee aus Bechern und beißen in ihren mitgebrachten Kuchen. Kolibris flattern mit kräftigem Gezwitscher in den Kronen der Palmen. Am Hafen warten Autos auf ihre Überfahrt.  Surfer am Wasser lassen ihre Bretter tanzen. Ihre bunten Segel rasen im Wind.

Marienbilder werden aufgebaut


In der Kirche werden die heiligen Bilder für die Prozession aufbereitet. Maria im Schmerz. Jesus am Kreuz. Engel im Flug. Es wird geschraubt, geputzt und geschmückt. Es ist Karwoche. Jedes Familienmitglied muss mittun. Die Frauen kratzen die Kerzenhalter vom Wachs des vergangenen Jahres frei.

Derweil stellen die Wirte ihre Stühle und Tische auf die Straße. Geöffnet wird erst abends.

Angeboten werden Bier und Happy-Hours-Cocktails. Zwei Engländer lallen auf eine Frau lautstark ein: „Olá, Hallo, Olá, Hallo … “ Auch in der Nacht kommen die Männerstimmen nicht zur Ruhe. Sie bleiben schlaflos bis 4 Uhr morgens. Ich schalte den Fernseher ein. Zappe mich zum Sportsender und bleibe beim Tennis-Turnier Miami Open hängen.

Auf dem Platz stehen sich Serena Williams und die Berlinerin Sabine Lisicki gegenüber. Die Schläge klatschen, der Belag quietscht bei jedem Schritt unter ihren Füßen. Williams macht einen Fehler nach dem anderen, Lisicki liegt im 2. Satz vorn und entscheidet ihn ohne große Mühe für sich. Das ist der Moment, in dem sich Williams strafft, ihren Kopf nach hinten wirft und einen herausfordernden Blick in die Kamera schickt. Im 3. Satz schlägt sie gnadenlos schnell Lisicki und verlässt den Platz als Siegerin.

Ich schaue aus dem Fenster. Der Tag liegt dämmrig hinter den Dächern. Ein Hund kläfft. Männer in grünen Westen spritzen den Platz ab. Die ersten Bauarbeiter kommen und knallen mit den Brettern, die sie am Tag vorher nach dem Abriss mit der Baumaschine hinterlassen haben. Es ist 7 Uhr am Morgen.


Benarraba

Der Ginster steht in gelber Blüte. Pinien strecken sich neben Dattelpalmen, Zypressen und Olivenbäumen. Am Boden kriechen weiße Calla und blaue spanische Szilla über schmale Wege. Bergzungen rahmen das Dorf ein. Es ist Sonntag Mittag 12 Uhr. Der Dorfplatz ist leer. In der Mitte steht ein schmiedeeiserner Brunnen mit Fontänen-Aufsatz ohne Wasser. Vor den Häusern stehen kleine Traktoren. Gepflanzte Orangenbäume an der Straße geben dem Platz Struktur. An der Stirnseite wartet der Pastor in der kleinen Kapelle auf die Anwohner. Als sie kommen, hat jeder einen Palmenzweig in der Hand. Das Zeichen für den Einzug Jesus Christus in Jerusalem. Alle Plätze sind besetzt. Der Pastor beginnt zu singen. Der Chor stimmt ein.

Ronda

Das andalusische Ronda und der Dichter Rilke, der eine Zeit hier verbrachte und von dem Ort auf dem Plateau schwärmte, kommen für mich auf den ersten Blick nicht zusammen. Die Stadt in der Höhe hat sich inzwischen breit gemacht mit an den Rändern ausgebauten modernen Häuserzeilen. Sehr viele Reisegruppen sind unterwegs, kein Platz bleibt frei an den vielen Tischen der Restaurants, Bars oder Imbiss-Buden. Ein Karussell dreht sich für die Kinder. Kutschen mit geschmückten Gäulen warten auf Rundfahrten.

Das maurische Städtchen auf dem Felsplateau der Sierra Bermeja hat schon viele zum Staunen gebracht. Ich blicke auf das karge Gebirge, in das kleine grüne Täler eingelassen sind. In ihnen dann terrassenförmige Gärten, der harten Erde abgerungen, um etwas Land fruchtbar zu bestellen. Der Blick in die Schlucht lässt Rilkes Zeilen hören. „Ich wüsste, fiele ich jetzt aus der Welt – ich fiele direkt in den Himmel.“ Dass dem nicht so ist, habe ich der energischen Frau neben mir zu verdanken. Sie lässt urplötzlich ihren Schirm vor meinem Gesicht aufschnappen. Der ist rot. „For the emergency!“, sagt sie lächelnd und geht weiter.

Sevilla

Die Frauen sind herausgeputzt, adrett gekleidet, das Haar ist frisiert, die Stoffhosen der Männer sind gebügelt. Die Kleidchen der Mädchen-Geschwister sind aus demselben Stoff geschneidert, die Farben der Haarschleifen darauf abgestimmt. Die Knaben tragen kurze Hosen mit Strümpfen bis zum Knie. Und auch die Hemden der Brüder haben die gleichen Muster. An diesen Tagen will man auf den Straßen und Plätzen nicht nur Buße tun, sondern sich auch zeigen.

Die Bruderschaften ziehen eine Woche lang in ihren weißen, schwarzen oder lila knöchellangen Kutten mit spitzen hohen Kapuzen, die nur Schlitze für die Augen freilassen, durch die Straßen. Sie schleppen Karren mit monströsen Aufbauten, spielen den Trauermarsch und bewegen sich in wiegenden Trippelschritten vorwärts. Ihr Anblick löst trotz Inszenierung ein beklemmendes Gefühl aus.

Prozession durch die Straßen

Prozession durch die Straßen

Am Morgen sind die Plätze leer, die Geschäfte sind geschlossen, nur die Kathedrale hat schon geöffnet. Männer mit Aktentaschen oder Frauen mit Kinderwagen durcheilen den Gang diagonal von Tor zu Tor. Der Weg bietet eine willkommene Abkürzung, um zur Straßenbahn zu kommen. Der Marmorboden ist voll Kerzenwachs. Wieder sind es Frauen, die auf ihren Knien entlang rutschen, um die klebrige Masse zu entfernen. Zentimeter für Zentimeter.

Granada

Flamenco für Touristen

Flamenco für Touristen

Flamenco am Abend. Ich steige die Stufen hinab in einen kleinen Raum mit niedrigen Decken. Eng aneinandergedrängt sitzen die Gäste im Kellergewölbe. Dicke Luft. Wein und Bier werden ausgeschenkt; einige essen auch etwas. Dann schwenkt das Licht auf die Bühne. Die Musiker kommen und setzen sich auf ihre Hocker, die Tänzerin nimmt ihre Stellung ein. Eng spannt sich das beigefarbene Kleid über ihren korpulenten, runden Körper. Es geht los. Stampfen mit den Füßen, drehen der Handgelenke, schraubende Bewegungen der Finger; gespannter Körper, leicht geneigter Kopf, harter konzentrierter Blick. Wehklagend, fast bellend, stimmt sie ihr Liebes-Wehe-Lied an. Erzählt wird ihre Liebe zu einem Mann, der die ihre nicht erwidert. Die Gitarre folgt dem wütenden Ton, aber die Zuneigung lässt sich nicht ertrotzen.
Die Tänzerin bäumt sich auf und stampft krachend im Tremolo über den Boden. Klatschen, klopfen, kehliges Anspornen der anderen. Ihr Blick geht in die Ferne. Über den kleinen engen Raum hinaus. Auf der Oberlippe und hinter dem Ohr bildet sich ein kleiner Schweißfilm, die Längsfalte auf der Stirn tritt dick hervor. Sie rafft ihren Rock und gibt den Blick auf ihre starken Beine frei. Stampft weiter. Jede Drehung zeigt die Konturen von Rücken, Gesäß und Bauch. Weiter, weiter. Die Sehnsucht, das Versprechen einander anzugehören in unzähligen Nächten gegeben. Um nun enttäuscht zurück zu bleiben. Ja, es ist Show. Aber Kunst ist es auch.

Am Tresen trinken sie dann gemeinsam einige Gläser Wein und Wasser. Die Tänzerin hat ihren festen Haarknoten gelöst, der Rand unter den Wimpern ist dunkel verschmiert und ihr Lachen etwas laut.

In dieser Nacht laufe ich noch zur Alhambra. In den weißen mit arabischen Schriftzeichen und Mustern aus Stuck verzierten großen Palast islamischer Architektur und Kunst.

Hier ist Selfie-Alarm. Ich warte in einer Ecke auf das Schließen der Tore und auch auf das Ende der Karwoche.

Nachts in der Alhambra

Nachts in der Alhambra

Hinterlasse einen Kommentar

Benötigte Felder sind mit * markiert.E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.