Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Spießeridylle mit Bastelanleitung

Die Landlust weiß nichts vom wirklichen Leben auf dem Land. Das Jahr geht zu Ende, und wenn es nach der aktuellen Ausgabe der Erfolgszeitschrift Landlust ginge, müsste ich jetzt Sauerkrauteintöpfe kochen, das Haus dekorieren und Wichtelgeschichten lesen. Schließlich bin ich Zielgruppe – oder?

Vor knapp vier Jahren hat sie mich jedenfalls ziemlich unvermittelt gepackt: die Landlust. Nachdem ich zwanzig Jahre in großen Städten gelebt hatte, bekam ich plötzlich Sehnsucht nach dem Land – nach Ruhe, Weite und einem Blick bis zum Horizont. Danach, in der nassen Erde zu graben, zu säen und den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen. Nach Frühnebel und Herbstspaziergängen, nach Vogelzwitschern, lauen Sommerabenden und knackig kalten Wintertagen. Nach Sternenhimmel.

Seitdem steige ich freitags zu Hause in den Zug und zu Hause wieder aus: als Pendlerin zwischen der Dreieinhalb-Millionen-Metropole Berlin und einem 200-Seelen-Dörfchen an der Grenze zu Mecklenburg. Berliner Hektik weicht brandenburgischer Entschleunigung, wenn ich kurz vor meiner Abfahrt bei der örtlichen Verkehrsgesellschaft anrufe und geduldig lausche, wie Herr Krause meine Reisedaten auf einem Zettel notiert. Herr Krause (oder einer seiner Kollegen) gibt dann per Telefon dem Busfahrer Bescheid, der mich neunzig Minuten später am Bahnhof abholen und in mein Dörfchen mitnehmen soll. Dann erst steige ich in die S-Bahn und von dort in den Regionalexpress.

Die Landlust weiß nichts vom Pendeln. Nichts von den trostlosen Gewerbebauten und den spießigen Neubauten, an denen wir unterwegs vorbeigleiten, nicht von den PendlerInnen mit den müden Augen, die dem Wochenende entgegenträumen; nichts von glücklich lärmenden Landschulkindern mit gegelten Haaren; nichts von Hakenkreuzen und SS-Runen, die sich immer wieder auf den Rückseiten der Sitze eingeritzt finden. Dabei pendeln viele, weil es auf dem Land kaum noch Arbeit gibt. Auch die Landlust-Chefredakteurin Ute Frieling-Huchzermeyer pendelt, mit dem Auto, sagenhafte 120 Kilometer morgens hin und abends wieder zurück, lese ich in der FAZ. Wie kommt sie mit diesem Widerspruch klar? Endlos weite Strecken Auto fahren, um auf dem Land leben zu können, und dabei zu zerstören, was das Landleben ausmacht: Ruhe, Natur, unverbaute Landschaft?

Sauerkrautrezepte und Dekofuror

Wie fast überall auf dem Land ist auch bei uns im Dorf das Leben ohne Auto ziemlich kompliziert. Werktags fährt der Bus in die nächste Kleinstadt acht Mal am Tag, am Wochenende vier Mal und abends gar nicht. Wie die Kneipe hat der Dorfladen schon vor Jahren dicht gemacht, noch kommen dreimal in der Woche ein Lebensmittel- und ein Bäckerauto und sichern die Grundversorgung für die Alten. Doch wie lange noch, wenn die Discounter weiter auf dem Vormarsch sind und die kleinen Supermärkte verdrängen? Mit ein paar anderen Landfrauen radele ich unverdrossen zum Einkaufen die acht Kilometer in die Kleinstadt, einige der Älteren wechseln gerade aufs E-Bike. Aber was wird aus uns in zehn, zwanzig Jahren? Auch die Unterversorgung mit öffentlicher Mobilität führt ja dazu, dass immer weniger Leute kein Auto haben – mit der Folge, dass das Angebot immer weiter ausgedünnt wird. Noch so ein Teufelskreis, der für die Landlust kein Thema ist.

Überhaupt, das fällt mir beim Durchblättern der 200 Seiten starken, aktuellen Ausgabe auf, spielt das Draußen in der Zeitschrifteine überraschend geringe Rolle. „Die schönsten Seiten des Landlebens“, wie der Untertitel jeder Ausgabe lautet, scheinen sich nach Meinung der 13 Redakteurinnen vor allem in den eigenen vier Wänden abzuspielen: zwischen Chrysanthemengestecken, Sauerkrautrezepten, Wichtelgeschichten – und Bastelanleitungen. Vor allem der Dekofuror ist gewaltig: Seite um Seite werden Blüten mit Wachs überzogen, gestärkte Stoffservietten in mannigfaltigen Formen drapiert, Gräser zu Sternen geklebt, Efeuranken zu Kränzen gewunden, Backformen zu Kerzenleuchtern, Kerzenreste zu Windlichtern und alte Holzbalken zu Lichterhäuschen umgearbeitet, als gäbe es kein Morgen. Wer hat Zeit für so was? Meine Dorfnachbarin, die auf ihrem Hof Milchvieh hält und Kälber aufzieht, über sechshundert Hektar bewirtschaftet und mit Mann, Eltern, Tochter, Schwiegersohn und neu geborenem Enkelkind unter einem Dach wohnt, sicher nicht.

Aber vielleicht geht es bei der Landlust ohnehin gar nicht ums Landleben. Das ist schließlich überall anders – in Flensburg anders als in der Eifel, am Starnberger See anders als in Mecklenburg. Vielleicht geht es nicht einmal ums Nach- und Selbermachen, vielleicht sind all die Dekovorschläge, die selbst gestrickten Schuheinlagen und wärmenden Liköre auf Doppelkornbasis in Wirklichkeit nur Beschwörungen einer besseren Welt: dafür, dass es so kalt und unwirtlich, wie es ist, nicht bleiben muss.

Unschönes wird einfach ausgeblendet

Das wäre traurig, aber eine Erklärung. Denn, so seltsam es klingt, die Landlust gehört zu den auflagenstärksten Zeitschriften der Republik. Über eine Million Exemplare verkauft sie von jeder Ausgabe und hat damit mehr LeserInnen als der Spiegel. Dabei zeigen gerade die opulenten Bildstrecken, wie entsetzlich eng der Fokus des Magazins ist: Immer sind es nur die einzelne Blüte, der einzelne Zweig, allenfalls einmal der einzelne, mit Hecken und Zäunen gegen jedes Außen rigide abgeschottete Garten, die in den Blick gelangen. Nur ein Foto der aktuellen Ausgabe zeigt den Horizont – allerdings in den schottischen Highlands, nicht bei uns. Und sie haben ja recht, die Redakteurinnen: Auch in unserem Dorf ist das Draußen nicht in ihrem verkitschten Sinne schön. Doch wer alles ausblenden muss, was nicht pittoresk ist – seien es runtergekommene Stallungen, demolierte Bushaltestellen oder auch nur die unendliche Zahl privater Gartenmarktsünden –, der muss den Blick eben notwendig bis zum Gehtnichtmehr verengen und sieht vom Landleben fast nichts mehr.

Menschen kommen nicht vor

Und noch etwas fehlt der Landlust: die Menschen. Wenn ich etwas am Landleben lieben gelernt habe, dann sind es die Typen, die mir hier begegnen. Alte Menschen, deren Gesichtern man ansieht, dass sie viel an der frischen Luft waren, viel erlebt haben: oft sechs, sieben, acht Jahrzehnte am selben Fleck. Ich teile nicht alle ihre Meinungen, aber ich mag ihr raues Platt, die Art, wie sie miteinander umgehen, sich grüßen, sich duzen. Auch die Jungen kennen noch dieses Zusammengehörigkeitsgefühl und betrauern offen, dass so viele von ihnen wegziehen müssen. Jeden Sonntagabend, erzählt mir einer der Rufbusfahrer, telefoniert er mit seinen Freunden, die auf der Suche nach Arbeit mittlerweile überallhin verstreut sind: „Aber es ist einfach nicht dasselbe.“ Ich mag auch ihre Neugierde, ihr Interesse, ihr Wissenwollen, woher ich komme, was ich hier mache. Sich kennen, dem anderen ins Gesicht gucken, auch auf der Straße, das musste ich nach zwanzig Jahren Großstadt erst wieder lernen. Und auch wenn ich keine von ihnen werde, ist das heute ein wichtiger Teil dessen, was ich an meinem Landleben mag.

Die Lektüre der Landlust ist dagegen bestenfalls banal. Umso mehr ärgere ich mich über die Stadtbüchereien: Die Stadt ist pleite – aber 24 Berliner Filialen haben dieses Spießeridylle abonniert. Doch jetzt wird´s Zeit, Herrn Krause anzurufen: Es ist Freitag, ich will raus aufs Land.

 Mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Frauenrates.

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