Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Wenn die Wohnung plötzlich leer ist

Jetzt steht wieder ein Bett drin. Auch ein Schreibtisch, ein Bücherregal und Schränke. Im Zimmer meiner Tochter, das bis vor drei Wochen verwaist war, wohnt wieder jemand. Marta, eine junge Journalistin aus El Salvador. Und das ist gut so.

Bis vor kurzem kriegte ich schlechte Laune, wenn ich nach Hause kam. Denn da war – niemand. Meine Tochter ist vor einem halben Jahr ausgezogen. Bis auf ein paar zerfledderte Kinderbücher, eine kaputte Lampe und eine leere Bierkiste hat sie alles mitgenommen. Mich hat sie hier allein gelassen.

Prinzessin nimmt Abschied

Die Prinzessin sagt Adieu. Foto: Walt Disney-Park in Hong Kong, 2010

Bis vor drei Wochen, als Marta kam, stand ich immer mal wieder im leeren Zimmer und dachte: Okay, das ist alles richtig so. Das Kind ist groß, eine junge Frau, sie studiert. Aus der wird mal was, sagen Freunde. Ja okay, alles richtig. Aber warum müssen sich Mütter so beschissen fühlen, wenn der Nachwuchs seiner eigenen Wege geht? Ich starrte minutenlang auf die kahlen Wände. Ich atmete die schlechte Luft und schaute auf die ungeputzten Fenster. Es ist das größte und schönste Zimmer in der Wohnung, es geht zum Hof. Im Sommer wirft der Götterbaum immer mal ein paar Blätter durchs geöffnete Fenster.

Der Auszug des einzigen Kindes ist schlimmer als eine Trennung

Sie ist mein einziges Kind, ich habe sie allein großgezogen. Wir haben eng zusammengelebt, unsere Beziehung war intensiv. Vor allem in unseren dramatischen Phasen, wenn Streite, Flüche und Verwünschungen wie Blitze durch die Wohnung schossen. Wenn ich die „beschissenste Mutter auf der ganzen Welt“ war und sie das „renitenteste Kind überhaupt“. Wenn sie drohte: „Ich zieh zu Papa“, und ich zischte: „Viel Spaß!“

Das ist lange vorbei und unsere letzten drei Jahre waren Freude pur. Manchmal hat sie Chili-Pommes mit Käse in den Ofen geschoben und eine DVD in ihren Laptop. „Los, Mama, jetzt machen wir es uns gemütlich.“

Ich war nie eine Helikopter – und auch keine Gluckenmutter. Neben dem Leben mit dem Kind hatte ich auch immer mein eigenes. Ich musste nie auf Kino, Theater, Clubs und Liebhaber verzichten. Es tröstet mich nicht, wenn Freunde sagen: Dann hast du wieder Zeit für all das, was du lange nicht machen konntest.

Ich bekomme jetzt viele Einladungen – damit ich nicht so allein bin. Ich werde öfter als sonst zum Essen ausgeführt – weil das zu zweit schöner ist. Ich kriege massenhaft Bücher geschenkt – obwohl sich meine Regale schon durchbiegen.

Am Wochenende, wenn meine Tochter und ich ausgiebig frühstückten, beobachteten wir von unserer Küche aus die Leute in den Fenstern gegenüber. Wir kennen sie nicht, aber wir haben ihnen Namen gegeben und Wetten abgeschlossen, was sie als Nächstes tun. Ich vermisse die Morgen mit meiner Tochter, wenn ich Kaffee für uns beide kochte. Ich vermisse ihre Socken und die angerotzten Tempos, die überall in der Wohnung verteilt waren. Ich vermisse selbst ihre Freunde, von denen manche mit mir sprachen, als sei ich die Putzkraft in ihrer WG.

Als meine Tochter überlegte, wo sie studieren will, konnte es gar nicht weit genug weg sein. Sie hatte befürchtet, dass ich jedes Wochenende vor ihrer Tür stehe und Sätze sage wie: „Ich habe Rouladen mitgebracht.“ Jetzt sind es zwei Autostunden geworden und ich war bisher zwei Mal bei ihr.

Dafür ruft sie jeden zweiten Abend an. Ich kenne jetzt alle Fachbegriffe in Algebra, Analysis und objektorientierter Programmierung. Ich weiß, was sie abends macht und wer Christian, Thomas und Hannes sind, obwohl ich die noch nie gesehen habe.

An der Wand neben meinem Schreibtisch hängt ein Foto von uns beiden. Wir schicken uns jeden Tag Mails und SMS.

Jetzt hat sie einen Freund. Nächste Woche will sie mit ihm zu mir kommen. Nach Hause. Aber so sehe ich das ja nur. Sie ist längst woanders zu Hause.

 

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