Weibblick - Magazin aus Frauensicht

Magazin aus Frauensicht

Wenn nur noch eine Kugel hilft

Beim Versuch meinem Kind zu erklären, warum in Asien Näherinnen für unsere Klamotten sterben müssen, stoße ich unweigerlich an meine Grenzen

Neulich, an einem Samstag, musste ich für meinen Arbeitgeber auf einer Einkaufsstraße stehen und versuchen, die Vorbeikommenden in ein Gespräch über das Thema Weihnachtsgeld zu verwickeln. Die allermeisten Menschen senkten frühzeitig ihren Blick und rauschten an mir vorbei. Ihren Einkaufstaschen nach zu urteilen, musste es ihnen ziemlich gut gehen, jedenfalls an diesem Tag. Über den Daumen gepeilt, hielt jede/r Dritte sechs bis sieben Primark-Papiertüten verschiedener Größen in den Händen. Auch H&M-Taschen pendelten an etlichen Handgelenken. Ich musste unweigerlich bei jeder Tüte daran denken, ob eines der Kleidungstücke darin, ein Menschenopfer in Bangladesch, wo die meisten Klamotten der Ketten Primark und H&M genäht werden, gefordert hat.

Der Verlust der Ernährerinnen

Ende November stand in Bangladesch erneut eine Fabrik in Flammen. Zum Glück kam dieses Mal niemand ums Leben. Beschäftigte selbst hätten das Feuer gelegt aus Protest gegen ihre Arbeitsbedingungen und vor lauter Wut, weil einer von ihnen tags zuvor gewaltsam zu Tode gekommen war – auch er hatte nur gegen die miesen Zustände in der Fabrik protestiert. Zuletzt verloren vor einem Jahr, am 24. November 2012, in der Textilfabrik Tazreen Fashions in Bangladesch 112 Menschen ihr Leben durch einen Fabrikbrand, rund 300 wurden teils schwer verletzt. Insgesamt haben nahezu 2.000 Menschen, überwiegend Näherinnen, in den vergangenen Jahren in Textilfabriken in Bangladesch durch Brände oder Einstürze ihr Leben verloren. Genauso viele Familien ihre Mütter, Väter, Schwestern, kurzum: ihre Ernährerinnen.

Eigentlich kann sie sich die Kugel geben

Eigentlich kann sie sich die Kugel geben

Wie sich das für die Zurückgebliebenen anfühlt, konnte ich gestern Abend auf zwei Plakaten an der U-Bahnstation Kurfürstenstraße in Berlin erahnen und lesen. Mein Blick fiel zunächst auf eine junge, dunkelhaarige Frau in einer dunkelbraunen Bluse mit noch dunkleren Tupfen. Hinter ihr ist alles nur schlicht weiß wie in einer typischen H&M-Werbung. Nur, dass sich das Model die eine Hand wie eine Knarre an den Kopf hält, passt nicht in die Werbestrategie des schwedischen Textilkonzerns. Und auch der Preis für ihre Bluse, angegeben mit 15 Cent, fällt mir sofort auf. Erst dann beginne ich die Zeilen über ihrem Kopf zu lesen. In denen erzählt eine Näherin aus Bangladesch, wie sie ihren Mann durch ein Feuer in der Fabrik verlor, in der sie beide arbeiteten. Jetzt steht sie mit zwei kleinen Kindern ohne Arbeit und mit leeren Händen da. Keines der verantwortlichen Unternehmen hat ihr bisher auch nur einen Cent Entschädigung gezahlt. Eigentlich kann sie sich die Kugel geben, das jedenfalls legt das Bild nahe.

Und ist sie nicht willig, so verliert sie ihren Job

Und ist sie nicht willig, so verliert sie ihren Job

Auf der gegenüberliegenden Seite vom U-Bahnhof sehe ich dann auf einem genauso gestalteten Plakat eine große kräftige Frau in einem Glitzerpulli. Der Preis: 9 Cent. Der Blick der Frau weist auf den Text einer chinesischen Näherin hin. Die berichtet von den permanenten sexuellen Übergriffen der Vorgesetzten in ihrer Fabrik. Und ist sie nicht willig, so verliert sie ihren Job.

Auch meine zehnjährige Tochter ist interessiert an den beiden Plakaten und möchte wissen, was mit den beiden Frauen los ist. Und warum die Bluse und der Pullover so billig sind. Ich versuche ihr die Zusammenhänge zu erklären. Dass sehr sehr viele Frauen und auch Männer in Ländern wie Bangladesch für sehr sehr wenig Geld die allermeisten Kleidungsstücke für unsere Geschäfte hier herstellen. Und diese Geschäfte verkaufen dann die in Bangladesch genähten T-Shirts, Blusen, Hosen und mehr für sehr viel mehr Geld, aber für uns oft noch sehr billig. Und weil die Klamotten so billig sind, kaufen viele Menschen hierzulande immer öfter immer mehr davon, auch wenn sie die eigentlich gar nicht brauchen.

Läppische 12 Cent mehr

Die „Kampagne für saubere Kleidung“ hat einmal ausgerechnet, dass ein T-Shirt nur für 12 Cent mehr verkauft werden müsste, damit man den Näherinnen in Bangladesch oder einem anderen Produzentenland wie zum Beispiel Indien 50 Euro mehr im Monat zahlen könnte. Das ist seit dem 1. Dezember 2013 der Mindestlohn, den eine Ungelernte in der Bekleidungsindustrie in Bangladesch bekommt. Bis zum 30. November lag er bei 28 Euro monatlich. Ausgebildete Näherinnen verdienten bisher 39 Euro, jetzt sind es 64 Euro. 12 Cent mehr hier für ein T-Shirt und sie kämen auf ein Einkommen von 114 Euro. Dann wäre es auch ein Auskommen, ein Lohn, von dem eine Familie in Bangladesch leben könnte.

Meine Tochter fragt mich, warum wir und alle anderen dann nicht einfach 12 Cent mehr bezahlen? Ich antworte ihr, dass das sicher ganz viele Leute sofort tun würden, nur dass dieses Geld nicht automatisch den Näherinnen zugutekommen würde. Das würde nur der Fall sein, wenn die Geschäftebetreiber, die die Klamotten in Bangladesch und anderswo nähen lassen, gleich bei Abnahme der T-Shirts mehr bezahlen würden als die 15 oder 9 Cent, die auf den Plakaten angegeben sind. Und warum tun die das nicht, fragt meine Tochter? Darauf kann ich nur antworten, dass ich es nicht wirklich weiß.

Von wegen glückliche Bräute – Sklavinnen

Wie soll man das auch einem Kind logisch erklären können, das wegen fehlender läppischer 12 Cent immer wieder Menschen sterben müssen? Warum ein paar Cent auch der Grund dafür sind, dass die Fabriken in Bangladesch mit zu wenig Zement gebaut werden und deshalb immer wieder wie Kartenhäuser in sich zusammenstürzen? Oder dass Mangels Geld an Notausgängen gespart wird und bei Bränden immer wieder Menschen sterben? Vor allem: Wie soll ich meiner Tochter erklären, dass Händler mit den höheren Mindestlöhnen jetzt schon 16 bis 22 Cent pro Kleidungsstück mehr zahlen müssen, aber erst weitere 12 Cent mehr die Lage der Textilarbeiterinnen wirklich verbessern würde? Das alles hat keine Logik. Es ist die Perversität des kapitalistischen Wirtschaftssystems.

In Indien hat dieses System schon seit Jahren dazu geführt, dass Mädchen und junge Frauen in Spinnereien gelockt werden mit dem Versprechen, dass sie dort für ihre Hände Arbeit ihre Mitgift für die spätere Hochzeit erwirtschaften können. Die Realität sieht dann so aus: Jahrelang schuften diese Mädchen und Frauen 12 bis 16 Stunden täglich, eingesperrt in schlecht belüfteten Räumen, spinnen Garne und weben Stoffe, ohne am Ende auch nur einen Cent für ihre Mitgift bekommen zu haben. Früher nannte man solche Arbeitsverhältnisse Sklaverei. Heute nennt man es Sumangali, auf deutsch: glückliche Braut.

Für Bangladesch haben vor mehr als drei Monaten rund 40 Unternehmen ein sogenanntes Brand- und Gebäudeschutzabkommen unterschrieben. Wirklich verbessert hat sich an den Zuständen in den Fabriken bisher gar nichts. H&M kündigt dieser Tage an, die Löhne der Näherinnen über den Mindestlohn hinaus erhöhen zu lassen. Über die Höhe macht der Konzern keine Angaben. Die noch amtierende Regierung in Bangladesch hatte nach der letzten Katastrophe im September, nach dem Einsturz der Fabrik Rana Plaza mit weit über 1.000 Todesopfern, den neuen Mindestlohn eingeführt. Es sind die schon benannten 50 beziehungsweise 64 Euro, immer noch Armutslöhne.

Der Fettnapf beim Einkauf

Ich selbst achte beim Kauf von Kleidung darauf, wo sie hergestellt wird. Immer mit dem Gedanken, dass es den Arbeiterinnen in Bangladesch, China und Indien leider überhaupt nichts nutzt, wenn ich ihre Produkte boykottiere. Aber es hilft ja auch nicht, die Billigware von dort zu kaufen. Als mir unlängst beim Kauf von Laufbekleidung eine Verkäuferin eine andere Marke als die üblichen empfahl, war ich ganz begeistert von der Qualität und dem bezahlbaren Preis. Als ich schließlich sah, dass die Sachen hier hergestellt werden, sagte ich, na dann nehme ich die doch, wenn die auch noch in Deutschland hergestellt sind. Ich hatte nicht mehr hinzugefügt, hoffentlich unter besseren Bedingungen als in Asien, und dass es mir auch recht gewesen wäre, wenn sie in Portugal produziert worden wären. Doch der Blick der Verkäuferin sagte mir im Nachhinein, die hat geglaubt, ich sei eine Nazibraut. Noch so ein Zusammenhang, den man keinem Kind erklären kann.

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